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Freitag, 20. April 2018

Soll sich der Sport als Sozialpädagogik verkaufen?

Zum Jahr des Kinder- und Jugendsports
(für die Sportjugend Berlin, im Januar 1997)

ringen2                           aus Kinder- und Jugendsport
 
In den letzten Jahren hört man immer wieder, daß Funktionäre den Sport nach außen hin mit sozialpädagogi- schen Argumenten rechtfertigen, und fast glaubt man, er hätte das nötig. Da heißt es ‘Aggressionen abbauen’, ‘der Gewaltbe- reitschaft begegnen’, ‘die Kinder von der Straße holen’ als sei sie bloß für die Autos da, ‘Frustra- tionstoleranz einüben’ usw. Fragt man nach, bekommt man als Antwort: Anders kommen wir nicht mehr an öffentliches Geld ran. Überall wird gespart, und wenn der Sport bloß als Freizeitvergnügen erscheint, wird er nicht gefördert. Man muß ihn als eine Art Nothilfe darstellen, das läßt sich der Öffentlichkeit besser vermit- teln…
 

Nachdem ich ein Vierteljahrhundert sozialpädagogische Berufspraxis auf dem Buckel habe, darf ich dazu wohl das Wort ergreifen. Dahingestellt sein laß ich, ob man wirklich immer nach den Fleischtöpfen schielen und die Frage nach richtig oder falsch gar nicht mehr stellen muß. Ich rede hier nicht moralisch, sondern pragmatisch. Und da sage ich: Wenn der Sport sich mit der Sozialpädagogik auf einen Wettlauf um die Fördermittel einläßt, hat er von vornherein verloren. Dann trägt er selber dazu bei, einen schlechten Zustand zu zementieren, den zu beenden gerade er aufgerufen ist.
 

Es ist nämlich nicht selbstverständlich, dass Sport (unnützer) Zeitvertreib und Sozialpädagogik (nützliche) Arbeit ist. Bis in die sechziger Jahre hat ja gerade der Sport als „Jugendarbeit“ par excellence gegolten! Wenn damals ein Politiker sagte, er wolle „was für die Jugend tun“, dann meinte er immer – neue Sportstätten. Recht so: Die Jugend strebt zum Sport, der Sport strebt zur Jugend, anders kann es gar nicht sein. Freilich, das Berufsbild des Sozialpädagogen gab es da noch nicht. Das kam erst Ende der Sechziger auf, mit jener explosionsartigen Vermehrung der pädagogischen Berufe, die man füglich als Landnahme bezeichnet. Seither war „Professionalisierung“ das gängige Stichwort, in den freien Jugendverbänden wurden „Fachkräfte“ angestellt, die rissen alles an sich, die freiwilligen „unfachlichen“ Helfer wurden rausgeekelt, und schließlich blieben auch die einfachen Mitglieder weg. „Jugendarbeit“ gibts seither nicht mehr. Auch keine Jugendbewegung. Nur noch Sozialpädagogen.

Übriggeblieben ist eigentlich nur die Sportjugend, d. h. der Jugendsport. Der hat der Sozialpädagogisierung getrotzt. Und die Sozialpädagogen ignorieren ihn vornehm – als unlautere, weil „unprofessionelle“, nämlich billigere Konkurrenz.

An „fachlichen“ Versuchungen hat es bei den Jugendfunktionären sicher auch nicht gefehlt. Es liegt aber in der Natur des Sports, daß ihm die Sozialpädagogik widerstrebt. Denn sie folgen beide zwei diametral entgegengesetzten Logiken, und die machen sich bis in den intimsten Winkel geltend: Die Sozialpädagogik richtet ihr Augenmerk auf die Schwächen der Kinder, der Sport auf ihre Stärken. 

Für die Sozialpädagogik heißt es: „Defizite kompensieren“. 

“Aggressionen“ modisch: „Gewaltbereitschaft“ wären so ein „Defizit“. Früher sprach man von Flegeljahren und von überschüssigen Kräften, aber die Sozialpädagogik denkt gleich an eine ‚Störung’, die man wegmachen muß. Im Hinterkopf schwebt irgendein idealer Durchschnitt von „Normalität“, von dem natürlich keiner genau sagen kann, wo er liegen soll. 

Im Sport heißt es dagegen: „Der Beste möge siegen“. Durchschnitt, Norm und Normalität kommen im Sport nicht vor.

Ganz krass wird es bei den Paralympics: Selbst da geht es nicht darum, „Defizite“ zu „kompensieren“, sondern auch da gilt: „Der Beste wird gewinnen.“ Es ist nicht Sache des Sports, irgendwem einen Maßstab vorzuhalten und zu sagen: „Siehst du, da mußt du hin!“ Das Ethos des Sports ist, ganz im Gegenteil, daß jeder aus sich das Beste macht. Jeder schafft, was er kann. Das Maß eines jeden sind seine eignen Möglichkeiten, und was er daraus macht, liegt ganz bei ihm.  Man könnte vielmehr fragen, mit welchem Fug und Recht eigentlich die Sozialpädagogen den Leuten Maßstäbe setzen wollen; bestimmen wollen, was Norm und was Abweichung, was Defizit und was Störung, was Kompensation und Normalität sind; wer hat sie dazu eingeladen? Da kämen sie aber ganz schön in Verlegenheit. 

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Gewiß, sie haben es schwer. Ein liberaler Staat in einer pluralistischen Gesellschaft kennt kein positives, verbindliches „Menschenbild“ mehr. Das brauchen sie aber: Wonach sollen sie sich sonst richten? Ersatzweise griffen sie daher zu einem negativen Menschenbild: Je lauter man von den „Defiziten“ der andern redet, umso weniger muß man über die eignen Maßstäbe sagen. Das hat den weiteren Vorteil, daß so die Defizite natürlich nie behoben, die Aufgaben nie erledigt und die Planstellen nie überflüssig werden. Es bleibt alles im Ungefähr, und man kann beliebig viel neue Defizite entdecken – wenn man nur lange genug hinschaut.

So kommt es, daß in diesem Berufsstand heute immer mehr Professionelle immer weniger leisten. Die Sozialpädagogik bestreitet ihre Leistungsschwäche gar nicht. Aber sie will uns einreden, es handle sich nur um ein fachliches Problem, das sie schon selbst und mit ihren Mittel lösen wird. Das ist eine Augenwischerei, der wir – wie alle Steuerzahler – energisch widersprechen sollten. Daß ein Erziehungssystem, das an den Kindern mit Vorliebe deren Fehler und Schwächen wahrnimmt, nichts Manierliches zustandebringt, kann jeder erkennen. Dazu braucht man kein Fachwissen. Man muß nur alle fünf Sinne beisammen haben. Es ist eine Sache des gewöhnlichen menschlichen Anstands: Kinder muß man auf ihre Stärken hinweisen. 


Das lehrt uns der Sport. Wenn also von einer Verbindung von Sport und Sozialpädagogik die Rede ist, dann kann es immer nur so sein, daß das Ethos des Sports die Fachlogik der Sozialpädagogen korrigiert, und nicht umgekehrt. So gesehen, wirkt Sport dann allerdings „sozialpädagogisch“.

Aber die Sozialpädagogen werden es kaum wahrhaben wollen. Und schließlich muß der Sport sein Ethos offensiv vertreten, statt sich hinter anderen zu verstecken, als ob er sich schämt. Das kommt in der Öffentlichkeit nicht an? Na das wolln wir erstmal sehen. Und schließlich: Öffentlich heißt nicht behördlich. Es gibt in der Öffentlichkeit auch Geld, das nicht von Staatsdienern verwaltet wird. Vielleicht sogar mehr. 

J. Ebmeier, Jugendwart im SV Siegfried Nordwest 1887 e.V.

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