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Donnerstag, 5. April 2018

Bildung, Einbildungskraft und Spiel.


Die Pädagogisierung des Kindes war eine Seitenansicht der Bürokratisierung der Welt, die Max Weber für die unvermeidliche Folge der Rationalisierung moderner Gesellschaften hielt, und vor drei, vier Jahren galt allent- halben die ‚Entpädagogisierung der Kindheit’ als eine vordringliche Kulturaufgabe. Seit PISA heißt es: Kehrt, Marsch! Eine Frenesie der Verschulung geht durchs Land, wobei gerade PISA dafür keinerlei Anhaltspunkt gab, sondern eher fürs Gegenteil.[12]

 Bildung besteht nicht aus Informationen, die auf Dateien fix und fertig gespeichert und in Ordnern wohlsortiert für den Abruf bereitliegen. Bildung ist ein lebendiges Vermögen. Sein Ursprung ist die Einbildungskraft. Seine gestalterische Energie ist die Fähigkeit zum wertenden Urteil. Einbildungskraft kann man niemandem „beibrin- gen“. Allenfalls kann man sie „hervorrufen“ und herauslocken, wo sie brachgelegen hat. Urteilskraft dagegen kann man üben, indem man sie ausübt – am mannigfaltigen Material, das unsere Kultur bereithält. Der Stoff der Bildung ist kein Pensum, das abzuarbeiten ist, sondern ein Reichtum, der danach schreit, genommen zu werden; nicht mit Fleiß, sondern in Muße.

Das ist der „Bildungswert der Freizeit“, von dem Roman Herzog spricht,[13] ganz im Sinne seines Nachfolgers: „Bildung ist die Verwandlung der Welt in das Ich.“ Soll sie etwas taugen, muss sie „den ganzen Menschen er- fassen“. Dafür jedoch „fehlt die Muße, die man braucht, um Grenzen zu überschreiten“.[14] Bildung beginnt, bevor es etwas zu „lernen“ gibt, mit dem Erleben. Keine noch so verständige Betreuung kann den Erlebniswert der Freizeit ersetzen. Die ‚Verwandlung der Welt in das Ich’ fängt an bei der freien Aneignung von Raum und Zeit; im ungebundenen Spiel.

Die Vermengung von Schule und Freizeit ist weder dem Unterricht förderlich, noch dem Spiel. Sicher kann arbeiten Spaß machen. Aber Arbeit hat einen vorgegebenen Zweck, und wenn sie den verfehlt, ist sie unnütz vertan. Das Spiel hat nur sich selbst zum Zweck, der immer erst gesucht werden muss; es kann misslingen. Ob oder ob nicht, ist eine Frage sowohl der Einbildungskraft als des wertenden Urteils, und darum bildet das Spielen. Seine höhere Form ist die Kunst, und die hat mit Wissenschaft mehr zu tun als (etwa) die Mathematik.[15]


[12] s. J. Ebmeier, „Nach PISA – Parteienkampf und Paradigmenwechsel“ in PädForum 4/2002; sowie: Wiss. Beirat für Familienfragen, „Bildung fängt in der Familie an“, ebd. 
[13] Roman Herzog, Wie der Ruck gelingt; München 2005 
[14] Johannes Rau, Den ganzen Menschen bilden – Wider den Nützlichkeitswahn; Weinheim 2004; S. 78 ff. 
[15] vgl. zu diesem Abschnitt J. Ebmeier, „Von der Künstlichkeit des Kindes und der Kindlichkeit der Kunst“ in: Pädagogische Rundschau 5/2000


 

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