Das Konzept der feldorientierten Sozialarbeit ist nicht in den Amtsstuben der Jungendverwaltung entstanden,
und in den Hochschulen schon gar nicht. Es ist vielmehr aus und in der
praktischen Sozialarbeit selbst entstanden; auf diesen Seiten können Sie einige Zeugnisse davon lesen.
Es ist vor allen Dingen nicht entstanden, um den längst totgewussten Jugendämtern ein zweites Leben einzuhauchen, indem man ihnen den Geldhahn in die Hände drückt und sie nach Gutdünken entscheiden lässt, wer im sozialen Feld professionell tätig werden darf und wer nicht. Ganz im Gegenteil zielt die auf die Aktivierung sozialräumlicher Ressourcen orientierte Berufsauffassung vom Helfenden Berater auf die radikale Entstaatlichung und Entbürokratisierung der Sozialarbeit. Dass das Konzept der "Sozialraumbudgets" so präsentiert wurde, als bezwecke es gerade die Umorientierung unseres Berufs weg vom hoheitlichen Fürsorger und hin zum zivilen Vermittler und Dienstleister, ist wenn kein Zynismus, dann ein Kinderglaube.
Rike, pixelio.de
Die theoretisch schon längst als überfällig erkannte Umstellung der Sozialarbeit 'vom Fall zum Feld', d. h. ihre paradigmatisch Umorientierung weg von den 'Defiziten' der Individuen hin zu den 'Ressourcen' der Gemeinwesen, ist in den letzten Jahren durch nichts so sehr kompromittiert worden wie durch die von interessierter Seite aufgebrachten Verquickung des Konzepts mit der bürokratischen Hinterlist der Sozialraumbudgets.
Zugestanden sei, dass die Idee nicht ursprünglich aus bürokratischer Absicht entstanden ist. Sie ist entstanden aus der Unvereinbarkeit feldorienierter und selbst nur bescheiden präventiver (Jugend-) Sozialarbeit mit den Finanzierungsmöglichkeiten des KJHG.
Als 1990 endlich, endlich das altes Reichsjugendwohlfahrtsgesetz JWG durch das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz KJHG ersetzt wurde, war es eigentlich bereits - veraltet. Kein Wunder, es war fast ein Vierteljahrhundert lang daran gestrickt, gefeilscht und geflickt worden. Als es dann endlich in Kraft trat, war die epochale Erneuerung, die es 1968 bedeutet hätte, schon fast zu einer Nebensache geworden. Rechtlich gesehen; denn im Alltag der Jugendverwaltungen sind die neuen Prinzipien auch heute noch nicht überall angekommen: Es ist nicht länger die ordnungspolitische Selbstermächtigung einer väterlichen Obrigkeit über die Bürger, die die Sozialarbeit begründet, sondern der Anspruch der Individuen gegen den Staat. Dass in der Konsequenz dem 'Klienten' buchstäblich ein Wahlrecht zwischen den rechtlich möglichen Leistung zusteht, ist weit davon entfernt, zu den Selbstverständlichkeiten in deutschen Jugendamtsstuben zu zählen.
Kein Wunder, die Mittel sind seit 1990 knapper geworden, die Neigung der Ämter geht dahin, wo immer möglich noch hinter die Innovationen des KJHG zurück zu fallen.
Die professionelle Einsicht rät dagegen, (unter anderm) gerade weil die Mittel knapper sind, über das KJHG hinaus zu gehen, und zwar systematisch. Die Begründung der Sozialarbeit als einer dem Bürger zustehenden Leistung lag ganz im Geist des Jahres 1968. Doch in dieser Logik bleibt sie auf den Einzelfall fixiert. Das Gesetz definiert eine Reihe von Bedarfssituationen, die jeweils einen individuellen Anspruch begründen. Und es definiert einige - freilich im Sinne des Gesetzgebers nicht erschöpfenden! - Leistungen. Der Anspruchsberechtigte hat nicht nur eine Mitsprache, sondern - im Fall von Kostenneutralität - selbst ein Wahlrecht hinsichtlich der zu gewährenden Leistung. Der Vorbehalt der Kostenneutralität ist im Alltag keine so gravierende Einschränkung, wie es scheinen mag: Der Behördenmitarbeiter gibt nicht sein eigenes Geld aus, sondern das von Vater Staat. Einen Riesenunterschied macht es allerdings aus, mit welcher 'Maßnahme' er sich mehr Mühe auflädt - und sei er nur mit dem nächsten Vorgesetzten.
Und das ist der springende Punkt: Einzelne Beamte müssen einzelne 'Maßnahmen' bewilligen. Nämlich nachdem ein begründeter 'Anspruch' angemeldet wurde. Im Vorfeld dafür zu sorgen, dass 'Ansprüche', wenn irgend möglich, gar nicht erst auftreten - dafür sind keine Mittel mehr übrig. Denn in realistischer Vorahnung der auch im nächsten Jahr wieder anfallenden Ansprüche, und noch dazu bei freier Wahl der Berechtigten, müssen pauschal reichlich Leistungen "vorgehalten" werden, so dass kein Berechtigter abgewiesen wird und bei Gericht klagen muss und kann. - Das kostet grad genug.
Eine Umstellung des gesamten Systems der individuellen Ansprüche auf die präventive Logik der Feldarbeit würde es nötig machen, über mehrere Jahre die für Jugendsozialarbeit vorgesehen Mittel zu verdoppeln – um parallel einerseits für alle eventuell gemeldeten Ansprüche die gebotenen ‚Leistungen‘ (einschl. Wahlmöglichkeit) „vorzuhalten“, und auf der andern Seite eine umfassenden feldorientierte, auf der Stärkung der Ressourcen in den Sozialräumen gerichtete Arbeit in den Gemeinwesen aufzubauen. Letztere würde ganz gewiss einige Jahre brauchen, um quantifizierbare Ergebnisse zu zeitigen, schon weil die Sozialarbeiter selbst sich in die neue Arbeitsweise erst einleben müssen. Da kann man einem Stadtkämmerer tausendmal sagen: Im Lauf der nächsten ein, zwei Jahrzehnte holst du alle Mehrausgaben wieder raus, denn präventive Sozialraumorientierung kommt den Steuerzahler auf die Dauer unvergleichlich viel billiger als – ebenso ineffektive wie personalintensive - nachträgliche Reparaturarbeit; und die werden wir auf ein Minimum beschränken. Er wird sagen: Die nächsten Jahrzehnte kann ich nicht budgetieren. Im kommenden Rechnungsjahr muss ich meinen Haushalt ausgleichen. Tragt eure Ideen in der Hochschule vor; oder bei meiner Partei. In ein, zwei Jahrzehnten reden wir dann weiter…
Das ist prima vista ein unlösbares Dilemma.
Der Gedanke, in den vorhandenen Jugendhilfebudgets eine pragmatische Umschichtung vorzunehmen, indem auf der einen Seite Mittel für die vorzuhaltenden Einzelmaßnahmen eingespart und auf der andern Seite der präventiven Feldarbeit zugeschoben würden, nämlich im Rahmen der kleinteilig übersehbaren Möglichkeiten, war da ja nicht illegitim. Die Jugendämter selbst können das nicht machen – fiskalisch dürfen sie nicht und praktisch haben sie selber nicht genügend Einblick in die je lokale Situation. Daher der Gedanke, die Entscheidung an die einzelnen Träger zu delegieren, denen man für ihre Tätigkeit pro Jahr eine Pauschalsumme gewährt, die sie in ihrer täglichen Arbeit dann nach eigenem professionellen Urteil so hin- und herschieben, wie es zweckmäßig erscheint.
Dass die Jugendämter sich dann am Jahresanfang diejenigen Träger ausgucken müssen (und dürfen), denen sie diese Verantwortung übertragen wollen, und alle andern im ‚Feld‘ tätigen Träger in die Röhre sehen, ist eine hässliche Konsequenz des Ganzen.
Es ist keine Frage der Begriffe, keine Frage der Logik, keine Frage der Theorie. Es ist eine ganz einfache pragmatische Frage: Hält einer, der in der Jugendsozialarbeit eine gewisse praktische Erfahrung angesammelt hat, die deutschen Jugendämter organisatorisch, personell und intellektuell für fähig, eine solche Auswahl professionell verantwortlich zu treffen?
Der Hauptpropagandist der Sozialraumbudgets sagt: „Ich mache mit ihnen Lehrgänge.“
Jeder andere wird sagen: In dem ganzen bürokratischen Gestrüpp, das in Deutschland um die Jugendhilfe rankt, sind es gerade die lokalen Jugendämter, die sich als das Überflüssigste bewährt haben. Sie verwalten Akten, und das braucht keiner. Ausgerechnet denen die hoheitliche Souveränität darüber zuzuschieben, wer im Feld Sozialarbeit betreiben darf und wer nicht, heißt den Bock zum Gärtner machen.
Im Folgenden dokumentiere ich meinen Teil eines Briefwechsels, den ich seinerzeit in dieser Sache hatte.
JE
den 25. 6. 06Es ist vor allen Dingen nicht entstanden, um den längst totgewussten Jugendämtern ein zweites Leben einzuhauchen, indem man ihnen den Geldhahn in die Hände drückt und sie nach Gutdünken entscheiden lässt, wer im sozialen Feld professionell tätig werden darf und wer nicht. Ganz im Gegenteil zielt die auf die Aktivierung sozialräumlicher Ressourcen orientierte Berufsauffassung vom Helfenden Berater auf die radikale Entstaatlichung und Entbürokratisierung der Sozialarbeit. Dass das Konzept der "Sozialraumbudgets" so präsentiert wurde, als bezwecke es gerade die Umorientierung unseres Berufs weg vom hoheitlichen Fürsorger und hin zum zivilen Vermittler und Dienstleister, ist wenn kein Zynismus, dann ein Kinderglaube.
Die theoretisch schon längst als überfällig erkannte Umstellung der Sozialarbeit 'vom Fall zum Feld', d. h. ihre paradigmatisch Umorientierung weg von den 'Defiziten' der Individuen hin zu den 'Ressourcen' der Gemeinwesen, ist in den letzten Jahren durch nichts so sehr kompromittiert worden wie durch die von interessierter Seite aufgebrachten Verquickung des Konzepts mit der bürokratischen Hinterlist der Sozialraumbudgets.
Zugestanden sei, dass die Idee nicht ursprünglich aus bürokratischer Absicht entstanden ist. Sie ist entstanden aus der Unvereinbarkeit feldorienierter und selbst nur bescheiden präventiver (Jugend-) Sozialarbeit mit den Finanzierungsmöglichkeiten des KJHG.
Als 1990 endlich, endlich das altes Reichsjugendwohlfahrtsgesetz JWG durch das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz KJHG ersetzt wurde, war es eigentlich bereits - veraltet. Kein Wunder, es war fast ein Vierteljahrhundert lang daran gestrickt, gefeilscht und geflickt worden. Als es dann endlich in Kraft trat, war die epochale Erneuerung, die es 1968 bedeutet hätte, schon fast zu einer Nebensache geworden. Rechtlich gesehen; denn im Alltag der Jugendverwaltungen sind die neuen Prinzipien auch heute noch nicht überall angekommen: Es ist nicht länger die ordnungspolitische Selbstermächtigung einer väterlichen Obrigkeit über die Bürger, die die Sozialarbeit begründet, sondern der Anspruch der Individuen gegen den Staat. Dass in der Konsequenz dem 'Klienten' buchstäblich ein Wahlrecht zwischen den rechtlich möglichen Leistung zusteht, ist weit davon entfernt, zu den Selbstverständlichkeiten in deutschen Jugendamtsstuben zu zählen.
Kein Wunder, die Mittel sind seit 1990 knapper geworden, die Neigung der Ämter geht dahin, wo immer möglich noch hinter die Innovationen des KJHG zurück zu fallen.
Die professionelle Einsicht rät dagegen, (unter anderm) gerade weil die Mittel knapper sind, über das KJHG hinaus zu gehen, und zwar systematisch. Die Begründung der Sozialarbeit als einer dem Bürger zustehenden Leistung lag ganz im Geist des Jahres 1968. Doch in dieser Logik bleibt sie auf den Einzelfall fixiert. Das Gesetz definiert eine Reihe von Bedarfssituationen, die jeweils einen individuellen Anspruch begründen. Und es definiert einige - freilich im Sinne des Gesetzgebers nicht erschöpfenden! - Leistungen. Der Anspruchsberechtigte hat nicht nur eine Mitsprache, sondern - im Fall von Kostenneutralität - selbst ein Wahlrecht hinsichtlich der zu gewährenden Leistung. Der Vorbehalt der Kostenneutralität ist im Alltag keine so gravierende Einschränkung, wie es scheinen mag: Der Behördenmitarbeiter gibt nicht sein eigenes Geld aus, sondern das von Vater Staat. Einen Riesenunterschied macht es allerdings aus, mit welcher 'Maßnahme' er sich mehr Mühe auflädt - und sei er nur mit dem nächsten Vorgesetzten.
Und das ist der springende Punkt: Einzelne Beamte müssen einzelne 'Maßnahmen' bewilligen. Nämlich nachdem ein begründeter 'Anspruch' angemeldet wurde. Im Vorfeld dafür zu sorgen, dass 'Ansprüche', wenn irgend möglich, gar nicht erst auftreten - dafür sind keine Mittel mehr übrig. Denn in realistischer Vorahnung der auch im nächsten Jahr wieder anfallenden Ansprüche, und noch dazu bei freier Wahl der Berechtigten, müssen pauschal reichlich Leistungen "vorgehalten" werden, so dass kein Berechtigter abgewiesen wird und bei Gericht klagen muss und kann. - Das kostet grad genug.
Eine Umstellung des gesamten Systems der individuellen Ansprüche auf die präventive Logik der Feldarbeit würde es nötig machen, über mehrere Jahre die für Jugendsozialarbeit vorgesehen Mittel zu verdoppeln – um parallel einerseits für alle eventuell gemeldeten Ansprüche die gebotenen ‚Leistungen‘ (einschl. Wahlmöglichkeit) „vorzuhalten“, und auf der andern Seite eine umfassenden feldorientierte, auf der Stärkung der Ressourcen in den Sozialräumen gerichtete Arbeit in den Gemeinwesen aufzubauen. Letztere würde ganz gewiss einige Jahre brauchen, um quantifizierbare Ergebnisse zu zeitigen, schon weil die Sozialarbeiter selbst sich in die neue Arbeitsweise erst einleben müssen. Da kann man einem Stadtkämmerer tausendmal sagen: Im Lauf der nächsten ein, zwei Jahrzehnte holst du alle Mehrausgaben wieder raus, denn präventive Sozialraumorientierung kommt den Steuerzahler auf die Dauer unvergleichlich viel billiger als – ebenso ineffektive wie personalintensive - nachträgliche Reparaturarbeit; und die werden wir auf ein Minimum beschränken. Er wird sagen: Die nächsten Jahrzehnte kann ich nicht budgetieren. Im kommenden Rechnungsjahr muss ich meinen Haushalt ausgleichen. Tragt eure Ideen in der Hochschule vor; oder bei meiner Partei. In ein, zwei Jahrzehnten reden wir dann weiter…
Das ist prima vista ein unlösbares Dilemma.
Der Gedanke, in den vorhandenen Jugendhilfebudgets eine pragmatische Umschichtung vorzunehmen, indem auf der einen Seite Mittel für die vorzuhaltenden Einzelmaßnahmen eingespart und auf der andern Seite der präventiven Feldarbeit zugeschoben würden, nämlich im Rahmen der kleinteilig übersehbaren Möglichkeiten, war da ja nicht illegitim. Die Jugendämter selbst können das nicht machen – fiskalisch dürfen sie nicht und praktisch haben sie selber nicht genügend Einblick in die je lokale Situation. Daher der Gedanke, die Entscheidung an die einzelnen Träger zu delegieren, denen man für ihre Tätigkeit pro Jahr eine Pauschalsumme gewährt, die sie in ihrer täglichen Arbeit dann nach eigenem professionellen Urteil so hin- und herschieben, wie es zweckmäßig erscheint.
Dass die Jugendämter sich dann am Jahresanfang diejenigen Träger ausgucken müssen (und dürfen), denen sie diese Verantwortung übertragen wollen, und alle andern im ‚Feld‘ tätigen Träger in die Röhre sehen, ist eine hässliche Konsequenz des Ganzen.
Es ist keine Frage der Begriffe, keine Frage der Logik, keine Frage der Theorie. Es ist eine ganz einfache pragmatische Frage: Hält einer, der in der Jugendsozialarbeit eine gewisse praktische Erfahrung angesammelt hat, die deutschen Jugendämter organisatorisch, personell und intellektuell für fähig, eine solche Auswahl professionell verantwortlich zu treffen?
Der Hauptpropagandist der Sozialraumbudgets sagt: „Ich mache mit ihnen Lehrgänge.“
Jeder andere wird sagen: In dem ganzen bürokratischen Gestrüpp, das in Deutschland um die Jugendhilfe rankt, sind es gerade die lokalen Jugendämter, die sich als das Überflüssigste bewährt haben. Sie verwalten Akten, und das braucht keiner. Ausgerechnet denen die hoheitliche Souveränität darüber zuzuschieben, wer im Feld Sozialarbeit betreiben darf und wer nicht, heißt den Bock zum Gärtner machen.
Im Folgenden dokumentiere ich meinen Teil eines Briefwechsels, den ich seinerzeit in dieser Sache hatte.
JE
...Einstweilen
verstehe ich es so: Für einen ‚Sozialraum’ wird für mehrere Rechnungsjahre ein
Gesamtbudget erstellt. Aus diesem erhalten einige (?!) Träger ihrerseits ein
Gesamtbudget zugewiesen, innerhalb dessen sie dann nach je intern ermitteltem
Bedarf und je nach Situation ihre Mittel zwischen ‚spezifischen’ und
‚unspezifischen’ Ausgaben verteilen können (wobei wohl je zu begründende
Nachschläge nicht ausgeschlossen sind)...
Ich
versuche mir die Sache praktisch vorzustellen. Als ich damals mit meinem Kinderhaus anfing, gab es für ein sozialräumlich konzipiertes ‚Angebot’ keine
Finanzierungsform. Ich habe mir schließlich eine Finanzierung per Tagessatz
aufschwatzen lassen, 'damit es überhaupt möglich wird' - „Sie müssen auch
Konzessionen machen, Herr Ebmeier“. Da sagte mir dann die Jugendamtsleiterin
in Friedrichshain: Wir wollen Fremdunterbringung vermeiden, und darum wollen
wir keine Fremdunterbringungseinrichtung in Friedrichshain. Folglich hat sie
Friedrichshainer Kinder in Zehlendorfer
Heime gesteckt, und ich bin pleite gegangen.
Käme
ich heute in einen sozialräumlich budgetierten Bezirk, hieße es: Schön und gut,
aber unser shop ist closed, sehn Sie zu, dass Sie bei einem bewährten Freien
Träger unterkommen – und ich müsste mich tief bücken, um mich [...] zu lassen. Nota: Den damals benötigten zweiten Kredit
hatte mir die Bank für Sozialwirtschaft schon bewilligt, und auch die
Geschäftsleitung der Bürgschaftsbank der BfS. Fehlte nur noch das Plazet des
‚Vergabeausschusses’ – und dort saß die Fünferbande der bewährten
Wohlfahrtskonzerne.
Für
eine Praxis, die nicht im Detail, sondern paradigmatisch anders ist, kann es keinen ‚bewährten’ Träger geben. – Na schön,
das ist ein Spezialproblem, wo man sich pragmatisch durchwurschteln könnte
(wenn ein guter Wille da wäre!). Aber
das Problem ist grundsätzlich. Nach welchen Maßstäben entscheiden die
Sozialarbeiter in den Ämtern, welche ihrer Kollegen auf der Straße sich ‚bewährt’
haben? Weils bisher auch schon so gut mit ihnen geklappt hat? Das ist ein administrativer Gesichtspunkt,
kein fachlicher (wie immer ein solcher definiert wäre). Das ist das kardinale
Problem: Wie gelangt die öffentliche
Verwaltung zu fachspezifischen
Kriterien? Sie wissen es wie ich: Sie gelangt gar nicht dazu, weil das nicht ihres Amtes ist.
Nehmen
wir mal an, (Sozial-) Pädagogik wäre Wissenschaft. Der öffentliche
Mandatsträger verfährt als solcher nicht wissenschaftlich, sondern politisch.
Die Verantwortung dafür hat er auf keinen Andern abzuschieben. Welcher
wissenschaftlichen Lehrmeinung er folgt, muss er selbst entscheiden und hat er
vor seinen Mandanten zu rechtfertigen. Aber sie selber sich aus den Rippen zu
schneiden, das kann keiner von ihm verlangen, und in keinem andern
Lebensbereich mutet er sich das zu. Er muss sich auf einen gegebenen ‚Stand der
Wissenschaft’ verlassen können.
Nun ist Pädagogik keine Wissenschaft, sondern die Alltagskunst einer Zunft. Die spricht zwar viel und laut, aber nicht mit einer Zunge - wenigstens das nicht! Eine gemeinsame Stellungnahme kann ihr im besten Fall immer nur punktuell gelingen, jusqu’à nouvel ordre - bis bessere Einsichten statthaben. Damit die besseren Einsichten wenigstens eine Chance haben, gehört zu werden, muss ihr eine permanente kritische Instanz gewissermaßen institutionell eingebaut werden; und das ist die Öffentlichkeit.
Wissenschaft ist öffentliches Wissen (das ist eine erschöpfende Definition): jederzeit jedermann zugänglich und jedermann verantwortlich, der sich vor ihr verantwortet. Dahin wird es (ihrem Wesen nach) die Pädagogik [Ach Sie wissen schon: das erwerbsmäßige Rummachen mit Kindern] nie bringen. Aus dieser Not lässt sich keine Tugend machen. Man kann sie allenfalls lindern, indem man die Zunft nötigt, ihrerseits öffentlich zu werden...
Ahnen Sie´s? Ich komme wieder mit meinem alten Gedanken einer „Jugendhilfekammer“. Die Untiefen der Sozialraum-Budgets resultieren daraus, dass die öffentliche Verwaltung nicht selber als Pädagoge oder Sozialarbeiter sprechen kann. Solange dieser Gegensatz nicht direkt angegangen und (prozessierend, versteht sich) ‚gelöst’ wird, wird sich der Streit um die Sozialraum-Budgets immer als Vehikel anbieten, um alle erdenklichen Nebenabsichten zu befördern und den pp. Umbau der Jugendhilfe dauerhaft zu lähmen. Dass Sie aber, wenn Sie dieses Thema jetzt auch noch aufs Tapet brächten, alles bisher Erreichte nachträglich gefährden könnten, ist mir klar. Nur - wenn nicht, könnte sich die Auseinandersetzung mit den Juristen zu einem Pingpongspiel verewigen, bei dem sich die Besitzstandwahrer in Ämtern und ‚Projekten’ ins Fäustchen lachen.
Sie schreiben zwar, dass es Sozialraumorientierung auch ohne Sozialraumbudgets geben könne. Aber Sozialraumorientierung als durchgängiger ‚Hintergrund’ für alle Jugendhilfe et al. kann es nicht geben ohne eine grundsätzlich andere Finanzierungsweise als die Fallprämien. Dass die Träger dafür Planungssicherheit brauchen, ist aber nur der abgeleitete Gesichtspunkt. Der primäre Gesichtspunkt ist der, dass unspezifische Arbeit finanzierbar werden muss. Sind Sie ganz sicher, dass das Problem beim Budget der Träger anzusiedeln ist? Entsteht so ein Junktim: Was ich an Aufwand für die Fälle einspare, kann ich für unspezifische Arbeit ausgeben -? Oder, wie Münder befürchten mag: Um unspezifische Arbeit bezahlen zu können, muss ich bei den Fällen sparen -? Ist es denn ganz unrealistisch, dass das, was als Anreiz gemeint ist, zu einer Daumenschraube wird? (Nota: In meiner Kinderhaus-Konzeption hatte ich Kinderhausbetrieb und ‚Feldarbeit’ getrennt veranschlagt, aber zu fixen Kosten. Der „Vorhalt“ von Freien Plätzen musste durch einen Aufschlag auf den ‚spezifischen’ Tagessatz erbracht werden.)
Ich verstehe schon, dass man nicht die Fälle bei den einen und das Feld bei den andern ansiedeln kann, weil sonst diese (wenn sie gut sind) jenen das Wasser abgraben (selbst wenn die gut sind). Aber was ist gewonnen, wenn Sie die Konkurrenz zwischen den Trägern in die Träger verlagern? Ich fürchte, dass sachfremde Erwägungen unter diesen Umständen sogar mehr ins Gewicht fallen als unter jenen. Ich verstehe auch, dass man die vorhandenen Träger eher dafür gewinnen kann, in der neuen Ausrichtung mitzuarbeiten, wenn man ihnen in Aussicht stellt, schlimmstenfalls selber zu entscheiden, wer entlassen und wer versetzt wird, als wenn man ihnen in Aussicht stellt, schlimmstenfalls pleite zu gehen. Aber das sind lauter pragmatische Gesichtspunkte, und ob sie zwingend sind, ist nicht sicher. Dass sich ein Rechtsgelehrter schwertut, dafür Rechtsgrundsätze aufs Spiel zu setzen, ist mir nicht völlig unverständlich.
Zum Schluss noch dies: Für die Finanzierbarkeit meines Kinderhauses wäre ein Sozialraumbudget, soweit ich sehe, ganz ohne Folgen geblieben. Auch dann würden die Kosten erst ab dem Moment erstattet, wo im Einzelfall die ‚Unterbringung’ stattgefunden hat. Das Kinderhaus wäre auch ein „Angebot“, das „vorgehalten“ wird. Aber ein unspezifisches. Darum erlaubt es, wenn’s soweit ist, eine maßgeschneiderte Lösung für eine individuelle Situation. Das ist im Quer- und Längsschnitt wohlfeiler als die Konkurrenz der vorgehaltenen spezifischen Angebote. Das Problem ist nicht einfach, dass der eine Träger auf die ‚harten’, der Andere auf die ‚weichen’ Leistungen spezialisiert ist. Wenn ein Träger beide Leistungen erbringt, verschiebt es nur die Konkurrenz zwischen den Finanzierungsformen von außen nach innen. Wird sie dadurch rationeller? Kann ich mir nur schlecht vorstellen.
Das Problem ist, dass es für beide Leistungen verschiedene Finanzierungsformen gibt und geben muss. Darin drückt sich aus, dass die Jugendhilfe dem allgemeinen Gesichtspunkt des Gemeinwesens und dem individuellen Interesse des Leistungsberechtigten gleichzeitig gerecht zu werden hat. Ich glaube, Sie stellen sich eine Falle, wenn Sie ‚unspezifische’ Leistungen nur unter der Rubrik ‚sparsamer Vorlauf zur HzE’ diskutieren wollen. Unspezifische Sozialarbeit ist eine Infrastrukturinvestition – und als solche hilft sie (hoffentlich), die Flut der HzE-Ansprüche einzudämmen; so wie öffentliche Badeanstalten ein Beitrag zur Volksgesundheit und eine Entlastung der Krankenkassen sind.
Badeanstalten werden aber nicht aus dem Gesundheitsetat finanziert. Sollten sie nicht besser? Stattdessen werden sie privatisiert. Wer spart da wo? Ein weites Feld, jaja. Ich verstehe schon, dass Sie den Griff in die HzE-Budgets als einen momentan praktikablen Weg verstehen, um überhaupt einmal eine Bresche zu schlagen in die Fallprämienlogik. Ich verstehe auch, dass man nicht alles auf einmal erreichen kann und den Weg nehmen muss, der sich bietet. Aber aus meiner Eselei, mein Kinderhaus über den Tagessatz finanzieren zu wollen, habe ich gelernt: Kompromisse, die zu Lasten der Sachlogik gehen, können einen Kopf und Kragen kosten. Anders gesagt, mit dem Kopf muss man durch die Wand – womit denn sonst?
CFalk, pixelio.de
Nun ist Pädagogik keine Wissenschaft, sondern die Alltagskunst einer Zunft. Die spricht zwar viel und laut, aber nicht mit einer Zunge - wenigstens das nicht! Eine gemeinsame Stellungnahme kann ihr im besten Fall immer nur punktuell gelingen, jusqu’à nouvel ordre - bis bessere Einsichten statthaben. Damit die besseren Einsichten wenigstens eine Chance haben, gehört zu werden, muss ihr eine permanente kritische Instanz gewissermaßen institutionell eingebaut werden; und das ist die Öffentlichkeit.
Wissenschaft ist öffentliches Wissen (das ist eine erschöpfende Definition): jederzeit jedermann zugänglich und jedermann verantwortlich, der sich vor ihr verantwortet. Dahin wird es (ihrem Wesen nach) die Pädagogik [Ach Sie wissen schon: das erwerbsmäßige Rummachen mit Kindern] nie bringen. Aus dieser Not lässt sich keine Tugend machen. Man kann sie allenfalls lindern, indem man die Zunft nötigt, ihrerseits öffentlich zu werden...
Ahnen Sie´s? Ich komme wieder mit meinem alten Gedanken einer „Jugendhilfekammer“. Die Untiefen der Sozialraum-Budgets resultieren daraus, dass die öffentliche Verwaltung nicht selber als Pädagoge oder Sozialarbeiter sprechen kann. Solange dieser Gegensatz nicht direkt angegangen und (prozessierend, versteht sich) ‚gelöst’ wird, wird sich der Streit um die Sozialraum-Budgets immer als Vehikel anbieten, um alle erdenklichen Nebenabsichten zu befördern und den pp. Umbau der Jugendhilfe dauerhaft zu lähmen. Dass Sie aber, wenn Sie dieses Thema jetzt auch noch aufs Tapet brächten, alles bisher Erreichte nachträglich gefährden könnten, ist mir klar. Nur - wenn nicht, könnte sich die Auseinandersetzung mit den Juristen zu einem Pingpongspiel verewigen, bei dem sich die Besitzstandwahrer in Ämtern und ‚Projekten’ ins Fäustchen lachen.
Sie schreiben zwar, dass es Sozialraumorientierung auch ohne Sozialraumbudgets geben könne. Aber Sozialraumorientierung als durchgängiger ‚Hintergrund’ für alle Jugendhilfe et al. kann es nicht geben ohne eine grundsätzlich andere Finanzierungsweise als die Fallprämien. Dass die Träger dafür Planungssicherheit brauchen, ist aber nur der abgeleitete Gesichtspunkt. Der primäre Gesichtspunkt ist der, dass unspezifische Arbeit finanzierbar werden muss. Sind Sie ganz sicher, dass das Problem beim Budget der Träger anzusiedeln ist? Entsteht so ein Junktim: Was ich an Aufwand für die Fälle einspare, kann ich für unspezifische Arbeit ausgeben -? Oder, wie Münder befürchten mag: Um unspezifische Arbeit bezahlen zu können, muss ich bei den Fällen sparen -? Ist es denn ganz unrealistisch, dass das, was als Anreiz gemeint ist, zu einer Daumenschraube wird? (Nota: In meiner Kinderhaus-Konzeption hatte ich Kinderhausbetrieb und ‚Feldarbeit’ getrennt veranschlagt, aber zu fixen Kosten. Der „Vorhalt“ von Freien Plätzen musste durch einen Aufschlag auf den ‚spezifischen’ Tagessatz erbracht werden.)
Ich verstehe schon, dass man nicht die Fälle bei den einen und das Feld bei den andern ansiedeln kann, weil sonst diese (wenn sie gut sind) jenen das Wasser abgraben (selbst wenn die gut sind). Aber was ist gewonnen, wenn Sie die Konkurrenz zwischen den Trägern in die Träger verlagern? Ich fürchte, dass sachfremde Erwägungen unter diesen Umständen sogar mehr ins Gewicht fallen als unter jenen. Ich verstehe auch, dass man die vorhandenen Träger eher dafür gewinnen kann, in der neuen Ausrichtung mitzuarbeiten, wenn man ihnen in Aussicht stellt, schlimmstenfalls selber zu entscheiden, wer entlassen und wer versetzt wird, als wenn man ihnen in Aussicht stellt, schlimmstenfalls pleite zu gehen. Aber das sind lauter pragmatische Gesichtspunkte, und ob sie zwingend sind, ist nicht sicher. Dass sich ein Rechtsgelehrter schwertut, dafür Rechtsgrundsätze aufs Spiel zu setzen, ist mir nicht völlig unverständlich.
Zum Schluss noch dies: Für die Finanzierbarkeit meines Kinderhauses wäre ein Sozialraumbudget, soweit ich sehe, ganz ohne Folgen geblieben. Auch dann würden die Kosten erst ab dem Moment erstattet, wo im Einzelfall die ‚Unterbringung’ stattgefunden hat. Das Kinderhaus wäre auch ein „Angebot“, das „vorgehalten“ wird. Aber ein unspezifisches. Darum erlaubt es, wenn’s soweit ist, eine maßgeschneiderte Lösung für eine individuelle Situation. Das ist im Quer- und Längsschnitt wohlfeiler als die Konkurrenz der vorgehaltenen spezifischen Angebote. Das Problem ist nicht einfach, dass der eine Träger auf die ‚harten’, der Andere auf die ‚weichen’ Leistungen spezialisiert ist. Wenn ein Träger beide Leistungen erbringt, verschiebt es nur die Konkurrenz zwischen den Finanzierungsformen von außen nach innen. Wird sie dadurch rationeller? Kann ich mir nur schlecht vorstellen.
Das Problem ist, dass es für beide Leistungen verschiedene Finanzierungsformen gibt und geben muss. Darin drückt sich aus, dass die Jugendhilfe dem allgemeinen Gesichtspunkt des Gemeinwesens und dem individuellen Interesse des Leistungsberechtigten gleichzeitig gerecht zu werden hat. Ich glaube, Sie stellen sich eine Falle, wenn Sie ‚unspezifische’ Leistungen nur unter der Rubrik ‚sparsamer Vorlauf zur HzE’ diskutieren wollen. Unspezifische Sozialarbeit ist eine Infrastrukturinvestition – und als solche hilft sie (hoffentlich), die Flut der HzE-Ansprüche einzudämmen; so wie öffentliche Badeanstalten ein Beitrag zur Volksgesundheit und eine Entlastung der Krankenkassen sind.
Badeanstalten werden aber nicht aus dem Gesundheitsetat finanziert. Sollten sie nicht besser? Stattdessen werden sie privatisiert. Wer spart da wo? Ein weites Feld, jaja. Ich verstehe schon, dass Sie den Griff in die HzE-Budgets als einen momentan praktikablen Weg verstehen, um überhaupt einmal eine Bresche zu schlagen in die Fallprämienlogik. Ich verstehe auch, dass man nicht alles auf einmal erreichen kann und den Weg nehmen muss, der sich bietet. Aber aus meiner Eselei, mein Kinderhaus über den Tagessatz finanzieren zu wollen, habe ich gelernt: Kompromisse, die zu Lasten der Sachlogik gehen, können einen Kopf und Kragen kosten. Anders gesagt, mit dem Kopf muss man durch die Wand – womit denn sonst?
CFalk, pixelio.de
Ich neige weiterhin der Ansicht zu, dass das Problem auf der höheren Ebene der Gebietskörperschaften selbst (Jugendhilfekammer oder so was) und nicht erst auf der untersten Ebene der Träger angegangen werden muss. Ja, das ist nicht nur ‚grundsätzlich’, sondern abstrakt. Was es konkret bedeuten würde, weiß ich nicht. Ich will mit all dem auch nur eins gesagt haben: Die Sozialraumbudgets sind wirklich problematisch, nicht nur bei bösem Willen.
...
Mit besten Grüßen,
Ihr J.E.
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