aus einem Bericht an die Mitgliederversammlung
Das hat es früher in den Arbeitervierteln gegeben, wo Ringen populär war, aber das ist lange her. In Moabit ist davon nichts übrig, und in Lichtenberg fehlt es auch. Wir müßten also neu anfangen. Aber nicht jedes Wohngebiet eignet sich dafür. Und vor allem: Es setzt voraus, daß im Sportverein mehr vorkommt als nur der Sport; nämlich Geselligkeit und Vergnügen. Das gilt für die Erwachsenen und erst recht für die Kinder. Kurzum, wir hätten die Ärmel hochkrempeln und ganz tief pflügen müssen. [...]
Nun
ist uns eine ungeahnte Chance ohne viel eigenes Zutun gleichsam in den
Schoß gefallen. Es ist der Entschluß der Poelchau-Oberschule in Jungfernheide, im kommenden Schuljahr einen „sportbetonten Zug“
einzurichten. Wir haben die Schule davon überzeugen können, dass das
Ringen unbedingt in ihrem Angebot vertreten sein muß. [...] Nicht jedes
Wohngebiet eignet sich dafür: doch kein zweites Wohngebiet in Berlin
dürfte sich so gut eignen wie unser neuer Standort Jungfernheide. Wir
sind dort fast konkurrenzlos in einem kleinen, übersichtlichen, unsern
Kräften angemessenen „Feld“ und besetzen eine strategische Stellung
zwischen der Oberschule und vier benachbarten Grundschulen. Wenn wir mit
unsern Kräften haushalten und uns nicht verwursteln, dann gehören wir
dort in ein, zwei Jahren zum Lokalkolorit und sind aus dem Viertel
„einfach nicht mehr wegzudenken“. Dann sagen die Kinder auf der Straße
zueinander: „Spielste Fußball oder jehste zum Ringen?“
Dort
können – und müssen – wir in die Tiefe wirken. Denn was noch fehlt, das
sind die „Wurzeln“ im Alltagsleben der Nachbarschaft. Unser
Verein muß sich im Kiez zu einer moralischen Autorität aufbauen. Wie
das? Indem wir zuerst für die Kinder, die bei uns ringen, und dann für
ihre Eltern und Lehrer; dann für ihre Freunde und dann für deren Eltern
und Lehrer zu einer moralischen Autorität werden – und so fort; denn
sowas spricht sich rum.
Das muß auf zwei Feldern gleichzeitig geschehen. Zum einen durch die Qualität des Sports, den wir vertreten. Konkret gesprochen, durch das Niveau des Kinder- und Jugendringens in Berlin. Die Stabilisierung und Entwicklung des sportlichen Standards auf Landesebene liegt im unmittelbaren egoistischen Vereinsinteresse, weil es die Autorität unseres Sports – und damit auch die unsere stärkt.
Und zum andern durch die Qualität unseres Zusammenlebens mit den Kindern. Dazu gehören Spaß und Geselligkeit als tragender Grund gegenseitigen persönlichen Vertrauens. Jeder weiß, daß das nicht die unwichtigste Voraussetzung für den sportlichen Erfolg ist. Vielleicht nicht für jede einzelne Leistung in jedem einzelnen Wettkampf; aber doch für einen anhaltenden Leistungswillen, der auch Zeiten des Durchhängens überdauert.
Das eine ist die Bindung an diesen Sport, das andere ist die Bindung an diesen Verein – und das läßt sich nicht voneinander trennen. Wenn wir am Standort Jungfernheide rund um die Poelchau-Schule mit unsern knappen Kräften das hinkriegen, dann dürfen wir uns was darauf einbilden. Denn dann haben wir ein „Modell“ geschaffen, um das uns alle andern beneiden können. Aber wenn wir uns das nicht zutrauen, dann brauchten wir gar nicht erst anzufangen.
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