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Dienstag, 10. April 2018
Landnahme.
Daß die spezialisierten Dienste, daß die ‘zuständigen’ Ämter und Abteilungen eifersüchtig über ihre geschützten Jagdgründe wachen und darüber, daß ja kein Loch in die Wände ihrer fachlichen Schubläden gebohrt wird – ist es absurd? Lauscht man den Klängen aus den Büros der Jugendbehörden, dann “muß das so sein”. Es sei näm- lich die natürliche Folge des KJHG, welches in soundsoviel Paragraphen soundsoviele Bedarfe definiert, indem es soundsoviele Leistungen aufzählt, die ihnen entsprechen – und vor allem soundsoviel Töpfe schafft, aus de- nen das Geld kommt. Folgt aus dieser gesetzlichen Prämisse der Jugendhilfe ihre Parzellierung in ebensoviele spezialisierte ‘Dienste’ mit sachlicher Notwendigkeit?
Mitnichten. Zuerst waren nämlich die vielen Dienste da, nicht die gesetzlichen Definitionen. Unterm Dach eines längst obsoleten JWG war ein institutioneller Wildwuchs ins Kraut geschossen, der keiner irgend professionel- len Idee gehorchte, sondern lediglich dem Gesetz des geringsten Widerstands: Wo immer der wuchernde Berufs- stand der Helfenden Berater eine “Lücke” im System der (bezeichnenderweise so genannten) “psychosozialen Versorgung” erspähte, da sickerten sie ein, “deckten” sie “ab” und verteidigten die neugewonnene Parzelle mit Klauen und Nägeln gegen eine nimmermüde Konkurrenz.[1] Das Kästchendenken ist ein Produkt des Aneig- nungsprozesses. Die Paragraphen des KJHG sanktionierten dann nur noch den Status quo von 1990; sie be- schreiben einen (dagewesenen) Zustand, aber begründen tun sie nichts.
Die junge Standesgeschichte der Sozialarbeit/Sozialpädagogik ist die Geschichte einer Landnahme, und die äußert sich treffend in einer herrschaftlichen Metaphorik. Ihre Kampflosung heißt “Defizit”.
Das ist eine verschämte Sekundärbildung zu ‘Defekt’, von lat. deficere, und beide bedeuten, daß “etwas fehlt”. Doch daß etwas fehlt, kann nur der aussagen, der weiß, was ‘eigentlich’ alles da sein müßte; einer, der es besser weiß (und besser kann) als andere. Das Eroberungs- und Besitzstandswahrungs-Motiv der Professionellen repro- duziert täglich neu eine hoheitlich-normative Fachlogik der Sozialen Arbeit, die “eigentlich” längst erledigt war. Was Ausnahme ist und was Regel, wer kann es noch sagen? Es ist gar keine Frage der richtigen Lehre mehr, son- dern eine praktische Evidenz: Selbst wenn sie es wollte, die Sozialarbeit kann gar nicht mehr normativ sein – weil die verbindlichen Normen fehlen. Nichts ist mehr selbstverständlich. Was der Einzelne soll, ist problematisch ge- worden. Und wird erstmal das Sollen zweifelhaft, ist bald auch das… Sein nicht mehr ganz faßbar.
[1] Ein letztes Aufbegehren des Kümmer-Prinzips in der Sozialarbeit war der missionarisch-agitatorische Gestus der 68er: Sogenannte Randgruppen sollten emanzipiert werden. Aber in der individualisierten Risikogesellschaft läßt sich jede willkürlich herausgegriffene Menschenmenge ‘irgendwie’ als Randgruppe definieren. Der emanzipatorische Anspruch entpuppt sich so als Vehikel der Landnahme.
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