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Sonntag, 19. April 2015

Hat Streetwork überhaupt eine Wirkung?

 ackern in der Steillage
aus Der Standard, Wien,15.4.2015

Vielfältige Wirkungen von Jugendarbeit auf der Straße

von Lisa Breit

Wien - Auf Fußballplätzen, in Kaufhäusern, bei Spielplätzen, vor Fastfood-Restaurants: All das sind Orte, wo Mitarbeiter der mobilen Jugendarbeit - auch als Streetworker bekannt - Ansprechpartner für Anliegen aller Art sind. Sie helfen bei Problemen in der Schule oder zu Hause, beantworten Fragen zu Sexualität oder Drogen. Sie sind fallweise Vermittler, Freunde, Mediatoren, Eltern, Therapeuten oder Lehrer. Mobile Jugendarbeit wendet sich besonders an Jugendliche, die durch klassische Angebote nicht mehr erreicht werden. Einrichtungen, die mobile Jugendarbeit anbieten, sind zumeist auf Förderer angewiesen. Förderer, die wissen wollen: Bringt Streetwork überhaupt einen Mehrwert?


Methoden entwickeln

Das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) versucht derzeit, diesen Einrichtungen, die meist wenig mit Wissenschaft zu tun haben, mit empirischen Ergebnissen weiterzuhelfen. Im zweijährigen Forschungsprojekt "Ja sicher", das im Rahmen des Förderprogramms Kiras für Sicherheitsforschung vom Verkehrsministerium gefördert wird, soll in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium und Jugendvereinen in Wien und Niederösterreich nachgewiesen werden, wie mobile Jugendarbeit wirkt.


Das ist keine leichte Aufgabe, sagt Projektleiterin Hemma Mayrhofer: "Die Wirkungen können so vielfältig sein wie die Bedürfnisse eines jungen Menschen selbst. Die Herausforderung ist, geeignete Kriterien für die Untersuchung und Forschungsmethoden zu entwickeln, mit denen die Wirkungen erfasst werden können."


Das Team um Mayrhofer entschied sich für eine Kombination mehrerer Untersuchungsmethoden: Befragungen, Beobachtungen, Netzwerkanalysen, Fotografien, Interviews. Rund 200 Jugendliche sollen Fragen zu ihren Hobbys, Erfolgserlebnissen, ihrem Umgang mit Konflikten, aber vor allem auch zu ihren Erfahrungen mit mobiler Jugendarbeit beantworten.


Wie stehen sie zu den Angeboten? Wenden sie sich mit ihren Problemen an die Streetworker? "Auch wenn es banal klingen mag: Ob die Angebote genutzt werden, gibt uns letztendlich bereits einen ersten wichtigen Hinweis darauf, ob sie auch wirken können", sagt Mayrhofer. Ergänzt werden diese sogenannten "standardisierten" Interviews durch narrative: Zehn bis zwölf Ex-Nutzer mobiler Jugendarbeit erzählen den Forschern ihre Lebensgeschichte. Kommunalpolitiker, das Jugendamt, Lehrer und Mitarbeiter von Freizeiteinrichtungen und Kulturvereinen lassen in einer sogenannten "Netzwerkanalyse" ihre Erfahrungen einfließen.


Schließlich nehmen die Forscher auch am Arbeitsalltag von Jugendarbeitern teil - und zwar beobachtend. Sie halten sich über einen längeren Zeitraum an Orten in Wien und Niederösterreich auf, an denen es häufig zu Konflikten zwischen Jugendlichen und anderen Nutzern des öffentlichen Raumes kommt - in Parks, auf Spielplätzen, und auch eine Kirche war bereits Untersuchungsfeld. "So wollen wir herausfinden, wie alle Beteiligten mit Konflikten umgehen. Wir wollen sehen, in welcher Weise die Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter auf den weiteren Verlauf des Streits einwirken", sagt Mayrhofer.


Studien noch ausständig

Dass umfassende sozialwissenschaftliche Studien zum Thema noch ausständig sind, bedauert Mayrhofer. Was die Forschung so schwierig mache, sei das Fehlen eindeutiger Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, denn: Mobile Jugendarbeit könne sich auf verschiedene Weisen auf das Leben der Jugendlichen auswirken.


Auch sei es praktisch unmöglich, präventive und langfristige Wirkungen zu erfassen: "Veränderungen können oft nur über mehrere Jahre festgestellt werden", sagt Mayrhofer. "Es ist aber nicht nur aufwändig, sondern auch unwahrscheinlich, dass wir die Jugendlichen über solch einen langen Zeitraum begleiten können."


Jugendliche wollen oft anonym bleiben, wenn sie sich an soziale Einrichtungen wenden. Daher ist auch die dünne Datenlage ein Problem für die Forscher. Diese werten deshalb zusätzlich - gemeinsam mit dem Innenministerium - Daten aus dem Sicherheitsmonitor aus: "Die Aufzeichnungen zeigen uns, in welchem Ausmaß strafrechtlich relevantes Verhalten in einem bestimmten Gebiet, etwa einem Park in Wien, beobachtet worden ist", sagt Mayrhofer. So können die Forscher sehen, ob ab dem Zeitpunkt, an dem mobile Jugendarbeit dort startete, die Zahlen zurückgehen.
Ende Mai beenden die Wissenschafter die Erhebung, Ende Juli beginnen die Auswertungen. Im Anschluss wird es Workshops mit den beteiligten Einrichtungen und Lehrenden an der Fachhochschule für Soziale Arbeit in Wien geben. Dort soll es vor allem darum gehen, "die Ergebnisse für die Praxis nutzbar zu machen", sagt Mayrhofer, der es wichtig ist, dass Sozialforschung im Dialog mit den sozialen Einrichtungen passiert: "Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse lassen sich nicht eins zu eins in die Praxis übertragen. Es reicht nicht aus, Vorschläge zu formulieren, die dann kochbuchartig angewendet werden."


Nota. - So zweckmäßig eine solche Untersuchung wäre, so unzweckmäßig scheint die Herangehensweise des österreichischen Instituts. Sie scheinen die Wirkung von Streetwork - 'aufsuchende Jugendsozialarbeit' im Berliner Behördendeutsch - als eine Summe linear-kausaler Einzelwirkungen aufzufassen, was aller- dings so erfolgversprechend ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen; und man kann nur hoffen, dass die österreichischen Streetworker selber eine professionellere Auffassung von ihrer Arbeit haben: 

Streetwork kann (auf die Dauer) überhaupt nur nützen, wenn sie von Anfang an systemisch aufgefasst wird und eben nicht an ihren Ergebnissen in soundsoviel Einzelfällen, sondern an ihrer Wirkung auf das jewei- lige soziale Feld  gemessen wird. Sie muss sich zu einer sozialräumlichen Instanz entwickeln können, deren Präsenz zu einer selbstverständlichen Prämisse für jedermanns private Lebensführung wird; etwas, worauf man in jedem (nicht erst äußersten) Fall rechnen kann - und sei es ohne dass sie tatsächlich in An- spruch genommen wird! Ihre Gegenwart hätte (im Detail) nachträglich manch individuelle Konsequenz im Einzelfall, aber (en gros) vor allem eine vorab  regulative Wirkung fürs Gemeinwesen.


Mit andern Worten, Streetwork darf nicht nur "unter anderm auch", sondern muss zuerst und vor allem präventiv aufgefasst werden. Und so etwas lässt sich nur über einen längeren Zeitraum und mit den quan- tifizierenden Methoden der Soziologen nachweisen. Ohne Vertrauensvorschuss braucht man da gar nicht erst anzufangen, das geht garantiert ins Auge.

JE