Die weiße Frau im Kinderheim
Sozialpädagogen auf der Jagd nach dem gestörten Kind
zuerst erschienen im Lehrbuch
Erziehung verhaltensauffälliger Kinder und Jugendlicher
Hg. H. Kupffer u.a.; Heidelberg 1992; Seiten 161-174
Je
weniger eine Disziplin auf gesichertem Wissen beruht, umso mehr lebt
sie von ihren Selbstverständlichkeiten. Was wir heute „die Pädagogik“
nennen, ist dafür ein Parade- beispiel. Und die Sozialpädagogik ist,
auch in dieser Hinsicht, ihre zur Kenntlichkeit verzerrte Karikatur.
Werden aber die Selbstverständlichkeiten einmal ausgesprochen(wenn einer
aus der Schule plaudert), dann ist das Geschrei groß; so groß wie das
Gelächter des Publikums.
Was sich von selbst versteht
Die
erste Selbstverständlichkeit der Sozialpädagogik ist, dass sie es mit
dem „gestörten Kind“ zu tun hat – oder doch immerhin mit dem
„potentiell“ gestörten. So selbst- verständlich, dass die Umkehrung
gilt: Bekommt ein Kind erstmal mit der Sozialpädagogik zu tun, so
definiert es sich dadurch als – gestört.
Paradigma
der Jugendhilfe und folglich auch der aus ihr hervorgegangenen
Fachdisziplin war und ist: das Kinderheim. Aber natürlich will das
keiner wahrhaben. Gilt denn nicht, ganz im Gegenteil, „das Heim“ unter
den Professionellen als das in jedem Fall zu Vermeidende? Eben: War
einst das Heim die Quintessenz der Jugendhilfe – in der DDR noch bis zu
ihrem letzten Tag -, so ist es heute ihr Buhmann. Aber das ist dasselbe
in grün. Denn nach wie vor kreist die Phantasie der Sozialpädagogik um
diesen ihren wunden Punkt – und wie man daran vorbeikommt.
“Fremdunterbringung
nach Möglichkeit vermeiden“ ist geltendes Programm in fast allen
Jugendämtern unserer Republik. Und erst, wenn sonst gar nicht mehr geht,
wenn alle ambulanten Möglichkeiten erschöpft sind, dann kann, im
äußersten Notfall, Heimunterbringung erwogen werden: weil nämlich das
Heim heute nurmehr als heilpädagogisch qualifizierte Angebot vertretbar
ist; [1] also
wenn das Kind schon so „gestört“ ist, dass Heilung nottut! Bei Licht
besehen ist eben das Kinderheim doch nicht bloß die Vogelscheuche im
System der Jugendhilfe, sondern auch sein krönender Abschluß.
Gegenstand der Sozialpädagogik ist das gestörte Kind. Das Heim ist sein privilegierter Ort: Da trifft man es in vollendeter Gestalt. Wer aber ist das „gestörte Kind“? Ich sage es gerade heraus: Es ist ein Phantom. Es ist wie die weiße Frau des Hauses Hohenzollern. Viele wollen sie gesehen haben, aber keiner weiß, wer sie ist, woher sie kommt, was sie will. Nur eins glaubt man zu wissen: Ihr Erscheinen kündigt stets bedeutende Dinge an.
In der Vorhölle der Psychiatrie
„Es wird schon seinen Grund haben, wenn ein Kind im Petit Sénart ist“ – das war der Lieblingsspruch im Centre Médico-Psycho-Pédagogique “Le Petit Sénart”,[2]
wo ich, deutscher Sozialpädagoge, in den Jahren 1979-83 als
Gruppenerzieher tätig war; eine Piloteinrichtung aus der Regierungszeit
des Präsidenten Pompidou und ein Beispiel für seine Gigantomanie:
riesenhaft, hyper-„differenziert“ in x spezialisierte Dienste für alle
erdenklichen Fallmerkmale, und vor allen Dingen: therapeutisch! Es
war an alles gedacht, und für die nötige Professionalität sorgten
„pluridisziplinäre Equipen“, wo vom Nervenarzt bis zum einfachen
Erzieher jede Qualifikation vertreten war.
Die
(inoffizielle) Mission des Zentrums war, die Einweisung von Kindern in
die regulären Irrenhäuser zu vermeiden, und die erfüllte es auch mit
Erfolg; aber um den Preis, sich selbst als eine Art Vorhölle der
Psychiatrie aufzuführen. Wenn irgendwo, dann musste man das „gestörte
Kind“ hier finden: Hier trat es „rein“ auf und in hoher Konzentration.
Und hier entpuppte er sich als das kollektive Phantasma einer
selbstherrlichen Institution.
Die häufigste Vokabel auf den (zahlreichen) Sitzungen war la folie,
der Irrsinn. Dennnach der gesetzlichen Definition nahm Le Petit Sénart
Kinder auf, die „Störungen des Charakter aufweisen, präpsychotisch oder
gar psychotisch sind“. Kinder mit gewöhnlichen
„Verhaltensauffälligkeiten“ kamen gar nicht erst bis zu uns. „Es wird
schon seinen Grund haben…“ Und als die 12jährige Sophie sich auch nach
Monaten noch „auffällig normal“ (sic) benahm, war eine Kollegin davon so
beunruhigt, dass sie zu einer Psychotherapie riet.[3]
Der therapeutische Blick
Eigentlich
sind Asyle dieser Art pathogene Orte par excellence. Es ist der
therapeutische Blick, der hier Tag und Nacht auf den Insassen lastet,
welcher sie buchstäblich krank macht: Unterm Blick des behandelnden
Professionellen findet immer das Beachtung, was er als „Symptom“ deuten
kann; das versteht er. Alles andere ist belanglos: Es braucht ja nicht
erst verstanden zu werden, und also hat es professionell keine
Bedeutung; man kann es allenfalls nebenhin zur Kenntnis nehmen, aber
eigentlich auch das nur privatim: Als Professioneller ist er für das
Deuten zuständig – das andere können Hinz und Kunz ja auch.
„Real“ ist in diesem Klima das Krankhafte – oder
was so aussieht; das andere ist unwirklicher Schein. Es bleibt nicht
aus, dass sich die „Betroffenen“ diese Wertung zu eigen machen: zu groß
ist das hierarchische Gefälle zwischen Behandelnden und Behandelten, als
dass die unten sich lange leisten könnten, denen oben einen eigenen
Wertekanon entgegenzuhalten. Die unten sind jeder für sich, aber die
oben halten zusammen wie Pech und Schwefel.
Le
Petit Sénart hätte ein pathogener Ort sein müssen. Eigenartigerweise
war er das nicht. Es kam kaum vor, daß sich das Befinden eines Kindes
während des Aufenthaltes im Heim erkennbar verschlechtert hätte. In den
meisten „Fällen“ änderte sich wenig. Aber in einer beachtlichen
Minderzahl trat eine sichtbare Verbesserung im Befinden der Kinder ein,
teilweise auch in den familiären Situationen. Im Durchschnitt kehrten
die Kinder nach zwei Jahren wieder in ihre Familien zurück.
Irgendwie
muß Le Petit Sénart trotz allem therapeutisch gewirkt haben. An den
therapeutischen Qualitäten der Behandlung kann es nicht gelegen haben:
die gab es nicht. Sie kamen nur in den Dienstbesprechungen vor. Im
Heimalltag wurde, wie überall sonst, mal schlecht, mal recht
improvisiert – jeder, wie er’s verstand. Sicher war der benebelnden
therapeutische Diskurs in Munde vieler ErzieherInnen (unsere Psychiater
waren da viel zurückhaltender) immer wieder ein Hindernis bei der
Bewältigung der Alltagsaufgaben, und sicher machte die eitle Pose der
einen oder des anderen die Zusammenarbeit oft zur Qual. Aber unterm
Strich regierte auf weiten Strecken der Zufall der blinden Routine, und
auf kürzeren Strecken auch mal der gesunde Menschenverstand. Aber eine
therapeutische Konzeption regierte nicht.
Wie das Phantom erschien
Und
doch kann man verstehen, was im Petit Sénart therapeutisch wirkte.
Freilich kommt es darauf an, unter „Therapie“ das rechte zu verstehen.
Der landläufigen Vorstellung von Therapie liegt die Vorstellung von
einem Handelnden und einem Behandelten zugrunde – nach dem Vorbild des
Arztes im Verhältnis zu seinem Patienten: jener ist dann krank, und
dieser macht ihm seine Krankheit weg.
Ich
will an dieser Stelle nicht die Frage erörtern, ob und wieweit
seelische Leiden oder „Störungen“ überhaupt mit körperlichen Krankheiten
zu vergleichen sind. (Es ist übrigens auch weitgehend eine
weltanschauliche Frage, nicht so sehr eine
wissenschaftlich-theoretische.) Wir haben es hier ja nicht mit
seelischenStörungen überhaupt zu tun, sondern mit dem „auffälligen“
Kind. Und an diesem ist ganz besonders auffällig, dass es in den
Lehrbüchern und Nachschlagewerken der Psychiatrie so
stiefmütterlich behandelt wird. Das Kapitel über „Kinder- und
Jugendpsychiatrie“ ist dort in aller Regel, wenn nicht stets das
kürzeste, so doch das schwammigste und undeutlichste.
Der Grund mag folgender sein: Die psychiatrische Nosologie und Nomenklatur ist von den spektakulären Formen der ausgereiften
Geisteskrankheiten ausgegangen: den Schizophrenien namentlich. Sie
bilden bis heute nicht nur den Schwerpunkt der psychiatrischen Klinik,
sondern auch den natürlichen ausgezeichneten Bezugspunkt der
psychiatrischen Theoriebildung. Die „kindlichen Störungen“ sehen aus
dieser Perspektive dann immer so aus wie mehr oder minder
unentschlossene, unreine, „unentwickelte“ Frühformen der ausgewachsenen
Psychosen. Der suchende Blick des Psychiaters rechnet auf etwas, was ihn
an die ihm wohlbekannten Spielarten erwachsenen Irreseins erinnert –
und findet es in den seltensten Fällen. Es ist ja direkt „auffällig“,
wie selten in den Anamnesen erwachsener Geisteskranker kindliche
Auffälligkeiten anzutreffen sind! Gewiß, der forschende Diagnostiker
findet hinterher immer irgendwas – weil er ja danach sucht. Aber
bemerkenswert ist: Die wenigsten erwachsenen Schizophrenen sind im
Kindesalter als „unnormal“ aufgefallen.
Also
kann die kindliche Störung nicht einfach das Larvenstadium der
ausgewachsen Psychose sein. Es handelt sich offenbar um etwas ganz
anderes. Die Psychiatrie hilft sich aus ihrer Verlegenheit, indem sie
der Sache einen Namen gibt. Vokabeln wie „Psychopathie“ oder – in
Amerika – „Soziopathie“ sind so was wie die Hölle des Schneiders: Dahin
lässt er alle Fetzen fliegen, mit denen er nichts anfangen kann.
Wenn es indessen sinnvoll ist, die Geisteskrankheiten aufzufassen als einen „pathologischen“ (d. h. zwanghaft erlittenen, nicht freiwilligen) Rückzug aus der Welt, wie sie ist – nämlich im Urteil der normalen Allgemeinheit erscheint -, in eine verkehrte Welt des Wahns, dann kann es nicht sinnvoll sein, die kindlichen „Störungen“ schon unter dieselbe Kategorie zu fassen. Denn während die Psychose ein dauerhaftes Arrangement, ein Modus vivendi darstellt, einen stabilen Kompromiß, wie ich mit der Welt, wie sie ist, leben kann, ohne in ihr leben zu müssen, „fällt“ das Kind ja gerade „auf“, wenn es sich nicht arrangiert.[4]Wenn es sich nämlich noch lange nicht damit abgefunden hat, dass nicht die Welt sich ihm, sondern es selbst sich der Welt anbequemen muß.
Wenn es indessen sinnvoll ist, die Geisteskrankheiten aufzufassen als einen „pathologischen“ (d. h. zwanghaft erlittenen, nicht freiwilligen) Rückzug aus der Welt, wie sie ist – nämlich im Urteil der normalen Allgemeinheit erscheint -, in eine verkehrte Welt des Wahns, dann kann es nicht sinnvoll sein, die kindlichen „Störungen“ schon unter dieselbe Kategorie zu fassen. Denn während die Psychose ein dauerhaftes Arrangement, ein Modus vivendi darstellt, einen stabilen Kompromiß, wie ich mit der Welt, wie sie ist, leben kann, ohne in ihr leben zu müssen, „fällt“ das Kind ja gerade „auf“, wenn es sich nicht arrangiert.[4]Wenn es sich nämlich noch lange nicht damit abgefunden hat, dass nicht die Welt sich ihm, sondern es selbst sich der Welt anbequemen muß.
Die kindliche Störung ist regelmäßig eine Kampfstellung, die noch nicht kapituliert hat.
Und da derjenige Ausschnitt von der Welt, den das Kind zu Gesicht
bekommt – eben die Zelle, in der es beschlossen ist -, seinen Kampf oft
genug rechtfertigt, ist es ganz verfehlt, pauschal von einer krankhaften
Reaktion zu reden.
Die Frage ist auch nicht einfach, wie sehr das Kind leidet. Denn
krankhaft ist nicht das Leiden selbst, sondern der Zwang zum Leiden.
Solange das Kind noch leidet, weil es im akuten Konflikt mit seiner Welt
ist, kann der Kampf noch so oder so ausgehen – und sogar als
gegenstandslos untergehen.
Noch sind die „Ursachen“ der „Störung“ in ihrem Verlauf präsent, liegen offen zu Tage. Und erst, wenn sie so weit verinnerlicht wurden, dass sie als Selbstrenner phantasmagorisch weiterwirken unabhängig von ihrer realen Gegenwart; wenn also Kampf und Leiden chronisch geworden sind, dann bekommt das Urteil „pathologisch“ einen fassbaren Sinn. Wenn es nicht mehr aufhören kann, selbst wenn es wollte – dann mag man von „Therapie“ reden.
Noch sind die „Ursachen“ der „Störung“ in ihrem Verlauf präsent, liegen offen zu Tage. Und erst, wenn sie so weit verinnerlicht wurden, dass sie als Selbstrenner phantasmagorisch weiterwirken unabhängig von ihrer realen Gegenwart; wenn also Kampf und Leiden chronisch geworden sind, dann bekommt das Urteil „pathologisch“ einen fassbaren Sinn. Wenn es nicht mehr aufhören kann, selbst wenn es wollte – dann mag man von „Therapie“ reden.
Wie
weit die Chronizisierung fortschreiten kann, ist allerdings eine Frage
des Trainings: je öfter, je länger, umso sicherer. Das ist eine Frage
der Situation – und wie lange sie dauert. Die Therapie ist eine Sache
von Wo und Wann. Wenn also der Erzieher seine Arbeit als ‚therapeutisch’
bestimmt, muß er dabei gewärtig bleiben, dass er es nicht mit einem
Zustand zu tun hat, sondern mit einem Geschehen, das sich im Fluß
befindet. Dass nämlich das Kind die Entscheidung, ob es sich in eine
krankhafte Dynamik ein lassen will, noch nicht getroffen hat. Dass er
also nicht einen konsolidierten Defekt im Kind zu reparieren hat,
sondern dass sein „heilendes“ Eingreifen auf „Ursachen“ zielt, die im
Spannungsfeld zwischen dem Kind und der Außenwelt liegen. Wohlbemerkt:
im Feld, das dazwischen liegt, zwischen dem Kind und der Welt; oder auch: in der Welt, wie sie für das Kind „ist“.
Denn
es sind ja nicht die Tatsachen, wie sie an sich sind (das, „was der
Fall ist“), welche die auffälligen Reaktionen des Kindes auslösen, wie
in einer blinden, quasi vegetativen Verknüpfung von Ursachen und
Wirkungen; sondern es sind die Bilder, die sich das Kind von diesen
Tatsachen macht, die es dazu bewegen, auffällig zu handeln – nämlich
wenn sein Bild von der Welt „auffällig“ abweicht von dem Bild, das die
Welt sich von sich selber macht.
Also
das Wirkungsfeld des Pädagogen ist nicht einfach die Welt, „wie sie
ist“, sondern die Welt, wie sie in der Vorstellung vorkommt. Und der
Knoten, der das Netzwerk der Figuren zusammenhält, aus denen ich mein
Weltbild knüpfe, ist das Bild von mir in
der Welt. Aber diese beiden – sowohl das Bild von mir als auch das Bild
der Welt – sind vorbestimmt von dem Bild, das die Andern von mir und
der Welt schon immer haben. Der Mensch macht sich sein Weltbild zwar
selbst, aber nicht aus freien Stücken; die Stücke, die er beim Bilden
verwendet, hat er vorgefunden: er tritt in eine Welt, die immer schon –
von Andern – gedeutet ist;
tritt in ein Geflecht von Sinngebungen, die abwechselnd aufeinander
verweisen. Dieses vorgefundene Weltbild ist der Fundus, aus dem sich das
Subjekt die Figuren holt, die es dann zu „seiner“ Welt zusammensetzt.
Es blickt selber in Welt – aber wie in einen Spiegel.
Hier sind wir bei der Schlüsselrolle, die die Familie in
der Heranbildung der kindlichen Persönlichkeit spielt: die Andern, aus
deren Bildvorrat es sich „seine“ Welt baut, das sind die, die ihm zuerst
am nächsten waren: die Eltern und die Geschwister. Und noch bevor es
sich selbst ein Bild macht, kennt es das Bild, das diese andern von ihm
schon hatten. Und das macht die Familie zum fruchtbaren Boden für
Störungen aller Art.
System Familie
Für
das Kind ist seine Familie ein geschlossenes System, von dessen Warte
es die übrige Welt als ein inkohärentes Einerlei von Fremdem erblickt.
Die Familie eröffnet ihm nicht nur seine ersten Einsichten in dieses
abstrakte Chaos; sie gewährleistet ihm vor allem die Sicherheit seines
eigenen Blickpunkts durch die Sicherung der sozialen Bezüge. Insofern
steht sie in einem Gegensatz zur Welt, die ihm, als fremde, unsicher
erscheint. Und dieser Unterschied macht die gewaltige sozialisierende
und charakterbildende Bedeutung der Familie für den Heranwachsenden aus.
Die Sicherheit seines Standorts im familialen System erlaubt es ihm,
die Welt nicht nur als bedrohlich, sondern auch als interessant zu
erleben.
Diese
sichernde Funktion der Familie ist aber nicht zu verwechseln mit den
notwendig leidenschaftlichen Beziehungen, die das Kind mit seinen Eltern
und Geschwistern unterhält: diese sind gewissermaßen „schicksalhaft“;
jene ist es nicht. Denn auch historisch sind jabeide nicht identisch.
Ihre spezifisch sozialisierende, weil psychoökonomisch sichernde
Bedeutung ist der Familie erst in der Moderne zugewachsen; in demselben
Maß, wie die bürgerliche Welt insgesamt unsicher geworden ist – als
jenes offene Universum, wo ich meinen Ort immer erst suchen muß.
Aber
faktisch bilden in der modernen Familie beide Dimensionen – die
leidenschaftliche wie die sozialisierende – ein System kommunizierender
Röhren. Wird die sichernde Rolle der Familie defizient, dann hören ja
nicht etwa die Leidenschaften auf; aber sie verändern ihre Färbung. Und
umgekehrt stellen „kranke“ bzw. kränkende Leidenschaften die sichernde
Funktion in Frage. Es liegt auf der Hand, dass gerade diese Verquickung
beider Dimensionen den Boden für pathologische Verwicklungen aller Art
bereitet: indem auf jede Störung in dem einen Bereich der jeweils andere
als deren Verstärker wirkt.
Die Parabel vom schlimmen Kind
Nicht,
dass es in einer Familie Konflikte gibt, macht die familiäre Situation
pathogen; denn krankhaft ist ja nicht das Leiden selbst: das gehört zum
Leben. Krankhaft ist erst der Zwang zum Leiden, und pathologisch wird
das familiäre Geschehen in dem Maße, wie das Leiden zwanghaft wird. Wie
aber kommt es zu dem Zwang? Wo die Konstellation der Leidenschaften in
der Familie so beschaffen ist, dass die jeweils nächste Krise
erfahrungsgemäß unausweichlich erscheint; wo derart die Krise latent
wird; dort wird schließlich das Warten selbst zur Qual, die Spannung
wächst ins Unerträgliche, und wenn es dann„endlich wieder so weit ist“,
wird der Ausbruch mit Erleichterung begrüßt: als Entladung und
Entspannung. Nun beherrscht das Warten auf die Krisis den familiären
Alltag, das Warten wird zur Erwartung, der Paroxysmus wird zu Erfüllung:
die Krise ist endemisch geworden.
Und
nun gibt es immer einen, der das Warten weniger verkraftet als die
andern; und der wird den Eklat zielstrebig beschleunigen und wirkt daher
wie dessen Urheber, der nicht der Familie, sondern auch dem Beobachter
als der eigentlich „gestörte“, weil störende Faktor im System erscheint.
Und das ist in einem gewissen Sinne auch nicht einmal falsch – insofern
nämlich, als es sich sicher um das schwächste Glied der Konstellation
handelt; denn er hatte dem Erwartungsdruck als erster nachgegeben. Er
wird nun auch derjenige sein, dem sie ihre Qualen gebündelt auf die
Schultern packen, dass er sie, wie ein Kreuz, stellvertretend für alle
trage. Wie kann er jetzt noch anders reagieren, als auszuweichen in eine
nunmehr tatsächlich pathologische Dynamik?
Vom
völligen Ausstieg aus der Welt der Tatsachen – den sog. Psychosen –
rede ich hier nicht. Ich rede von jenen Fällen eines krankhaften
Arrangements mit den Tatsachen – und zwar krankhaft insofern, als es die
Rechnung ohne den Wirt gemacht hat: durch phantasmagorische Umdeutung
der (familiären) Gegebenheiten, [5] durch jene „Privatlogik“, die das
falsche Verhalten „begründen“ soll, aber zugleich, als dessen
Rechtfertigung, zum stabilisierenden Faktor des Familiengeschehens wird –
indem sie nämlich seinen pathologischen Charakter stabilisiert. Die
Identifizierung und Auszeichnung dieses schwächsten Gliedes als
schwarzes Schaf gehorcht einer eigenen Ökonomie, die es näher zu
beleuchten gilt, da sie uns darauf verweist, an welcher Stelle der
„therapeutische Eingriff“ anzusetzen hat. Die Schwäche des schwarzen
Schafs war es ja gewesen, das Warten nicht auszuhalten.
Mit
dem Warten hat es aber nun eine eigene Bewandtnis: es fügt dem Leiden
das Bewusstsein des Leidens hinzu – und die quälende Frage: warum? Das
ist es, was das Warten so unerträglich macht. Dagegen ist der
Paroxysmus, als Freisetzung aller angespannten Energien, zugleich ein
Moment höchster Aktivität, in dem das Subjekt sich tätig erlebt – und
eben nicht leidend. Die dynamische Quelle der Chronizisierung, des
Wiederholungszwangs, und schließlich des pathologischen Absturzes, ist
das Streben, durch Installierung einer akuten Dauerkrise den Schein
permanenter Tätigkeit aufzuführen, um das Leiden nicht wahrhaben zu
müssen. Wobei die Tragödie des schwarzen Schafes dies ist, dass es sein
Leidensgefühl immer nur unvollkommen betäuben kann, dass sein Stratagem
es aber auf der anderen Seiten seinen Mittätern im pathologischen Prozeß
erlaubt, sich auf seine Kosten schadlos zu halten und all ihr eigenes
Elend auf ihn zu projizieren. Und insofern ist es auch gerechtfertigt,
das „gestörte“ Kind nicht bloß als Indikator, sondern auch als Opfer
einer pathologischen Konstellation anzusehen.
Opfer und Bürge
Als
Opfer ist es aber eben nicht nur Indikator, sondern auch konstitutives
Element des krankhaft veränderten familiären Systems. Und das erklärt
den so regelmäßigen Widerstand der Familien gegen die Anmutung, sich von
ihrem Schmerzenskind trennen zu sollen, und die wachsende Vorliebe für
„ambulante“ Maßnahmen. Denn die Entfernung dieses ihres Zeugen reißt
eine Lücke in den pathologischen Funktionszusammenhang und zwingt die
Familie, sich auf die veränderte Situation umzustellen – was
schlechterdings nicht möglich ist, ohne auf die vorherige Situation zu
reflektieren. Und mag man sich bei dieser Reflexion auch gegenseitig
etwas vorlügen, so ist das so teuer erkaufte Gleichgewicht der
familiären Ökonomie erst einmal dahin.
Und
das ist die Bedingung dafür, dass die Familie eine Anstrengung zur
Selbstheilung überhaupt ins Auge fassen kann – wenn auch noch keine
Garantie für deren Erfolg. Der Heimaufenthalt ist darum nicht allein als
ein eingriff in das Lebend des Kindes zu betrachten, sondern im selben
Maße als ein Vorstoß ins Innere der Familie selbst. Die Versetzung des
Kindes in eine völlig neue Lebenssituation dynamisiert nicht nur dessen
stereotyp verhärteten Verhaltensweisen, sie dynamisiert zugleich die
verhärtete Familienkonstellation.
Und
gerade dafür lieferte Le Petit Sénart den schlüssigen Beweis – freilich
e contrario. Neben dem Internat (Wochenheim) gab es da nämlich auch
noch ein Externat (Tagesheim). Nach der landläufigen Regel, wonach
Fremdunterbringung nur als letzter Versuch in Frage kommt, hätte man
erwarten sollen, dass sich die „schwersten“ Fälle im Internat, die
„leichteren“ aber im Tagesheim gesammelt hätten. Aber das Gegenteil war
der Fall. Während die achtzig Internatskinder, mit Ausnahme von drei
bis fünf wirklich Verrückten, eigentlich nur mehr oder weniger
„schwererziehbar“ waren, trugen die vierzig Externatsschüler ihre
„Störung“ als sichtbares Stigma buchstäblich in Antlitz und Haltung
eingezeichnet, so dass man ausnahmslos von weitem erkennen konnte, wer
ins Externat ‚gehörte’ und wer ins Internat. Das Externat bot eine
Konzentration schwerster Persönlichkeitsstörungen, während unser
Internat eigentlich kaum etwas anderes als ein ganz gewöhnliches
Kinderheim war (wenn auch eines mit einem Tagessatz von – damals, vor über dreißig Jahren –
umgerechnet 300 Mark).
Bezeichnenderweise
war dieses Paradox im Petit Sénart ein Unthema. Es war tabu und bot
allenfalls Anlaß für die Sarkasmen der Internatserzieher – außerhalb der
Sitzungen. Die Erklärung
war ja auch zu augenfällig. Je markanter die „Zeichnung“ des
Opferlamms, umso schwerer die Schuld derer, deren Sünden es trägt. Je
krasser das Symptom des Kindes, umso tiefer die Pathologie der ganzen
Familie. Umso notwendiger, ihr das Opfer zu entziehen; umso heftiger
aber auchihre Weigerung, es ziehen zu lassen. Das familiäre Wahnsystem
bedarf der sinnfälligen Gegenwart seines Opfers – als des Zeugen, das
ihm seine Realität verbürgt. Kommt er abhanden, droht das Kartenhaus
einzustürzen. Wenn je Trennung indiziert ist, dann in solchen Fällen.
Warum
also das Externat? Anstelle einer Begründung machte das Wort von der
„leichten Institution“ die Runde, die das Externat im Unterschied zur
„schweren“ Institution des Wochenheims darstelle – welche den kleinen
Patienten nur eine neue, unnötige Bürde auferlege… Eine „leichte“
Institution ist das Tagesheim in der Tat, allerdings für die, die dort ihr Brot verdienen. Für die Kinder ist es die schwerere.
Zwischen Hammer und Amboß
Da
ist erstens die Last des therapeutischen Blicks. Den Tagesablauf im
Externat können swich die Professionellen ohne Mühe als eine
prolongierte therapeutische Sitzung vorstellen – acht Stunden mit einem
deutlichen Anfang und einem deutlichen Ende. Man kann sich andauernd vorstellen, dort zu arbeiten – am „Symptom“.
Wogegen im Heimalltag rund um die Uhr unvermeidlich alles andere, das
Außerprofessionelle, das Gewöhnliche, eben das Normale immer wieder sein
Recht verlangt und auch bekommt. Der Heimerzieher kann sich
psychoökonomisch gar nicht leisten, selbst das verrückteste Kind nur als
„krank“ anzusehen, ohne auf die Dauer selber einen Sprung in der
Schüssel davonzutragen. Das Heim ist Alltag, bloß das Externat ist
„Sitzung“.
Und nachdem die Kinder im Externat dann acht Stunden
lang einem Trommelfeuer therapeutisch zweckmäßiger Veranstaltungen
ausgesetzt waren, dürfen sie in die Familie zurück, deren Kreuz sie
tragen; kommt das Lamm zurück auf den Altar, wo es allabendlich geopfert
wird. Da wundert es dann auch nicht mehr, dass auf die „Arbeit mit der
Familie“ – im Internat ein strenges Muß – im Externat kein so großer
Wert gelegt wurde. Sicher ist sicher.
Katharsis, acting out
Unser
therapeutisches Tagesheim musste zufrieden sein, wenn es gelang, den
pathologischen Status quo zu stabilisieren – um jenen Modus vivendi dann
als „Normalisierung“ zu beschönigen. Es begab sich des mächtigsten
therapeutischen Hebels – der Trennung als
Katharsis. Die Trennung unterbricht schlagartig das chronisch gewordene
familiäre Handlungsschema und spitzt auf unerhörte Weise seine
Erlebnisqualität zu. Die Emotionen werden dramatisch aktiviert, und
zugleich können sich im neu gewonnenen Abstand die Beteiligten zum
erstenmal erlauben, das Empfundene zu… erleben.
Es
ist dies kathartische Ereignis, das den Heimaufenthalt therapeutisch
wirksam macht. Denn das alles findet nicht in der Vorstellung statt,
sondern wird wirklich ausgetragen. Letzteres freilich nur, wenn das Kind
einstweilen aus dem familiären Alltag entfernt, nicht jedoch aus dem
leben der Familie abgeschafft ist: den als verfremdendes Moment kann die
Entfernung des Kindes nur wirken, wenn es, durch regelmäßige
besuchsweise Rückkehr, in der Vorstellung präsent bleibt. Und gerade
weil solche Rückkehr das Befinden des Kindes und seiner Familie
gleichermaßen „beunruhigt“, kann der Heimaufenthalt auf das familiäre
Befinden reinigend wirken. Die umso eher, wenn professionell begleitete
Familienkonferenzen dafür sorgen, dass die Dinge nicht vor der Zeit
wieder ins (schiefe) Lot gebracht werden.
Die
Entlastung der Familie und des Kindes vom allgegenwärtigen Druck einer
akuten Dauerkrise zielt also nicht darauf ab, den Konflikt vergessen zu
machen; sondern im Gegenteil, ihn in der Distanz zu verdeutlichen, zu objektivieren
und zu vergegenwärtigen, um ihn produktiv bearbeiten zu können. Es geht
nicht darum, die (selbst-) zerstörerischen Leidenschaften
hinwegzukurieren, sondern darum, Lebensumstände zu schaffen, unter denen
sie niemanden (mehr) zerstören können: weil sie aus dem Alltag
„entfernt“ sind. Und der reinigende Effekt der Trennung bestünde nicht
darin, den leidenschaftlichen Charakter der familiären Bindungen – etwa
durch eine „klärende Aussprache“ – zu versachlichen zu einem
kontraktlichen Modus vivendi; auch nicht darin, an die Stelle
„schlechter“ Leidenschaften „gute“ zu setzen; sondern lediglich darin,
wieder „normal“ mit einander verkehren zu können – wenn nämlich die
Leidenschaften aus ihrer Verquickung mit den Rang- und Geltungsproblemen
gelöst sind, die die familiären Alltagsgeschäfte aufwerfen, insoweit
sie zugleich „Sozialisierungsprozeß“ sind. Ob sie mit ihrer Färbung dann
auch ihren Charakter ändern, liegt ganz in der Hand der
Familienangehörigen selbst. Was sie nicht fertigbringen, wird nun auch
keine therapeutische Technik mehr vermögen.
Das
muß aber auch nicht der Ehrgeiz der Therapeuten sein. Das
therapeutische Ziel ist so umschrieben, dass der emotionale Kontakt
zwischen Kindern, Eltern und Geschwistern wiederhergestellt und
konsolidiert, und namentlich die Gefahr eines Kontaktbruchs durch Flucht
in den Irrsinn abgewendet wird. Daß darüber hinaus die familiären
Beziehungen so weit saniert werden, dass der Kontakt wieder im Alltag
stattfindet, d. h. dass das Kind dauerhaft nach Hause zurückkehren kann,
ist wünschenswert; ist aber an sich selber kein Kriterium für Erfolg
oder Misserfolg des therapeutischen Programms.
Eine situative Therapeutik
Ob
und in welchem Maße ein Kinderheim fördert oder hemmt, hängt außer vom
guten Willen der dort Lebenden auch noch von seiner inneren Verfassung
ab. Dies ist eine situative, systemische Form der Therapeutik, wo es
nicht so sehr auf dieses Wort oder jene Tat des einen oder des anderen
bei der und der Gelegenheit ankommt, sondern auf den Charakter des
ganzen Interaktionsflusses selbst.
Ich habe das an anderer Stelle ausgeführt. [6] Hier sei nur das
festgehalten: Es ist in dieser Perspektive direkt widersinnig, zur
Grundlage des Heimalltags „familienanaloge Gruppen“ machen zu wollen,
die dann, zwecks „intensivierter Betreuung“, auch noch besonders klein
sein müssen. Es kann die Freisetzung der heilsamen Strebungen des Kindes
nur behindern, wenn sich hier Leute an die Stelle seiner eigenen Eltern
drängen wollen. Hier geht es nicht darum, die schlechte durch die gute
Familie zu ersetzen. Es geht darum, im wirklichen einen Abstand zu legen
zwischen den Alb von gestern und das heute je noch Mögliche. Darum, das
Kind zu einem neue Wagnis zu verlocken. „Therapie“ heißt hier
Ent-Bindung, Entlastung, Entlassung.
Da
tut der Erzieher dann gut daran, das lästige Phantom des „gestörten
Kindes“ aus seinem Kopf zu verjagen. Es erlaubt einer zweifelhaften
Institution, sich ei n gutes Gewissen zu machen. Aber es hilft ihm nicht
um einen Deut, das Kind, das er da in seinem Alltag trifft, besser zu
„verstehen“. Er hat buchstäblich nichts davon, dass er es als Fall einer
Regel zuordnet. Diagnostische Kategorien sind bestenfalls Metaphern,
die erlauben, intelligente Fragen zu stellen. Antworten geben sie nicht.
Überhaupt
ist der Erzieher ganz schlecht beraten, wenn er sein Augenmerk vor
allem auf das heftet, was an dem Kind schlimm ist. Er sollte zusehen,
dass er sich vielmehr all dem anderen zuwenden kann – dem, was nicht
schlimm ist. Denn erst dann darf er darauf rechnen, dass das Kind seine
Wendung mitmacht. Aber es ist wahr, dass das ein liberaler Ort sein muß, der einem erlaubt, vom Schlimmen und dem, was gestern war, abzusehen.
Eine faire Chance
Ich
behaupte nicht, dass die therapeutischen Qualitäten einer geselligen
Situation injedem Fall ausreichen. Es mag immer noch viele Fälle geben,
wo die Blicke des Therapeuten in die Tiefe gehen, wo Geheimnisse zur
Sprache gebracht werden müssen. Aber ich argumentiere, dass an der
Stelle nicht angefangen werden darf. Denn in Wahrheit sind die
Psychotherapien – und die introspektiven zumal – ein schwerer Eingriff
in die Persönlichkeit, der erst in Frage kommt, wenn seine Notwendigkeit
erwiesen ist – weil die „leichteren“ Mittel erfolglos blieben.
Es
wird höchste Zeit, wieder auf die „Schädlichkeit der psychologischen
Atmosphäre“ aufmerksam zu machen, die Karl Jaspers schon 1911 benannt
hat. [7] Schädlich gerade für Kinder, die vielleicht eben in der
Entscheidung stehen, ob sie de n psychotischen Rückzug aus der Welt der
Anderen wählen sollen oder nicht. Die „psychologische Atmosphäre“ bannt
in einer Weise die ganze Aufmerksamkeit des Subjekts auf seine Not – und
zieht sie ab von all dem andern -, die geeignet ist, den psychotischen
Schub gerade herbeizuführen, den man dann hinterher hingebungsvoll
„behandelt“. Es ist, als ob man einen, der am Abgrund steht, auch noch
zwingt, hinunter zu sehen: ein sicheres Mittel, dass er stürzt. durch
jene „Privatlogik“, die das falsche Verhalten „begründen“ soll, aber
zugleich, als dessen Rechtfertigung, zum stabilisierenden Faktor des
Familiengeschehens wird – indem sie nämlich seinen pathologischen
Charakter stabilisiert. Die Identifizierung und Auszeichnung dieses
schwächsten Gliedes als schwarzes Schaf gehorcht einer eigenen Ökonomie,
die es näher zu beleuchten gilt, da sie uns darauf verweist, an welcher
Stelle der „therapeutische Eingriff“ anzusetzen hat. Die Schwäche des
schwarzen Schafs war es ja gewesen, das Warten nicht auszuhalten.
Ein
psychotherapeutischer Eingriff zur Unzeit ist gefährlich. Schon für
Erwachsene, umso mehr für Kinder. Er ist wirklichnur als letzter Versuch
zu rechtfertigen, wenn alle andern Stricke gerissen sind. Es ist eine
„schwere“ Maßnahme auch in dem Sinn, dass sie die Verantwortung für
Heilung dem Kind allein aufbürdet. Die Familie sieht nur zu.
Am Anfang muß der heilsamen Dynamik der Trennung eine Chance gegeben werden – weil so die ganze Familie eine Chance hat. Kinderheime müssen so eingerichtet
werden, dass sie nicht mehr Notnagel im hoffnungslosen Fall zu sein
brauchen, sondern guten Gewissens als allgemeine Möglichkeit angeboten
werden können: als ein nahe liegender erster Versuch, sobald die Probleme ernster werden – und um sich schwerere Geschütze später zu ersparen.
[1] So Flosdorf, P., selber ein Protagonist dieser Entwicklung (Hg.): Theorie und Praxis stationärer Jugendhilfe. Freiburg 1988
[2] in der Gemeinde Tigery im frz, Département Essonne, 30 km südlich von Paris.
[3]Sophie war normal; und während der ganzen Aufnahmeprozedur hatte auch niemand etwas anders behauptet. Anlaß des Heimaufenthalts war ein strikt familiäres Problem rein faktischer, nicht psychodynamischer Art. Die Kollegin wusste das. Aber es sollte eben nicht sein.
[3]Sophie war normal; und während der ganzen Aufnahmeprozedur hatte auch niemand etwas anders behauptet. Anlaß des Heimaufenthalts war ein strikt familiäres Problem rein faktischer, nicht psychodynamischer Art. Die Kollegin wusste das. Aber es sollte eben nicht sein.
[4]
Es soll hier natürlich nicht bestritten werden, dass es auch
psychotische Kinder gibt. Bestritten wird allerdings, dass die
stabilisierte ‚endogene’ Psychose irgendwie typisch wäre für die
sozialpädagogische ‚Klinik’.
[5] Der Übergang von ‚Umdeutung’ der Welt zum ‚Ausstieg’ ist fließend – so wie der zwischen ‚akut’ und ‚chronisch’.
[6] J. Ebmeier, Geselligkeit als Regel II, in: Neue Praxis 6/1990
[7] Karl Jaspers, Allgemeine Psychopathologie. Berlin 6/1953
[5] Der Übergang von ‚Umdeutung’ der Welt zum ‚Ausstieg’ ist fließend – so wie der zwischen ‚akut’ und ‚chronisch’.
[6] J. Ebmeier, Geselligkeit als Regel II, in: Neue Praxis 6/1990
[7] Karl Jaspers, Allgemeine Psychopathologie. Berlin 6/1953
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen