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Dienstag, 19. Mai 2015

Burnout - die Berufskrankheit der Sozialarbeiter?



Soziologen: Burnout als Symptom einer übertriebenen Wettbewerbs- mentalität ernst nehmen




Rainer Jung 
Abt. Öffentlichkeitsarbeit 
Hans-Böckler-Stiftung 

Wachsende Anforderungen, Wettbewerbsdruck ohne Feierabend und ein hoher Anspruch an die eigene Arbeit – wo diese Faktoren zusammenkommen, steigt das Burnout-Risiko. Soziologen sehen das Leiden als Symptom einer entgrenzten Arbeits- und Wirtschaftsweise.

Begonnen hat es in der alternativen Nische. Als der amerikanische Psychoanalytiker Herbert Freudenberger 1974 erstmals Fälle von Burnout beschrieb, waren seine Patienten Sozialarbeiter und Lehrer, die wie er in Spanish Harlem arbeiteten: hoch motiviert, politisch engagiert – und nach Jahren frustriert durch die Erfahrung, dass sie trotz eines Einsatzes weit jenseits normaler Arbeitszeiten im damaligen New Yorker Problemviertel nicht wirklich etwas ändern konnten – eben „ausgebrannt“.

Die besondere Kombination aus hoher eigener Identifikation und systematischer Überforderung von Beschäftigten sei ein Schlüssel, um zu verstehen, warum sich Burnout stark ausgebreitet hat, schreiben Prof. Dr. Sighard Neckel und Greta Wagner. Natürlich gab es immer schon harte Arbeit und Stress. Trotzdem sei Burnout keineswegs nur eine Modediagnose, betonen der Frankfurter Soziologie-Professor und seine Mitarbeiterin. Erschienen ist ihr Aufsatz in den WSI-Mitteilungen, der Fachzeitschrift des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Burnout spiegele vielmehr gewichtige Veränderungen in Arbeitswelt und kapitalistischem Wirtschaftsmodell wider: „Unrealistische Erwartungen an die Belastbarkeit von Mitarbeitern entstammen längst nicht mehr dem Idealismus alternativer Milieus der 1970er-Jahre, sondern sind in einer ökonomischen Kultur zur Regel geworden, die um jeden Preis auf permanente Leistungssteigerung setzt.“

Zwei wesentliche Trends greifen nach Analyse der Wissenschaftler ineinander:

Eine Selbstverantwortungs- und Wettbewerbslogik, die das Berufsleben prägt, aber längst auch in den privaten Bereich hineinreicht – von der Konkurrenz zwischen betrieblichen Profit-Centern über die Sorge um den Schulerfolg der Kinder bis hin zur Castingshow im Fernsehen. Neckel und Wagner sehen einen Zusammenhang zur „Ausbreitung des Neoliberalismus in den 1990er-Jahren“. In deren Folge sei „es zu einer zeitlichen und sachlichen Entgrenzung von Wettbewerben“ gekommen, „sodass Wettbewerbe zunehmend die Sozialordnung als Ganzes bestimmten“.

Einerseits seien zuvor weitgehend nach anderen Logiken organisierte Bereiche wie Hochschulen oder öffentliche Verwaltung in den Wettbewerb einbezogen worden, so die Forscher. Zum anderen verkürzten sich für sehr viele Erwerbstätige die Abstände, in denen „der erreichte Status wieder zur Disposition gestellt und 'performativ' neu erkämpft werden“ musste. Begünstigt wurde das durch Fortschritte in der Informationstechnik. Leistungsfähige Computer bildeten eine zentrale Voraussetzung für engmaschige Leistungs- und Erfolgskontrollen. Mobilgeräte eröffneten die Möglichkeit, Beschäftigte dauernd zu erreichen. Hinzu kamen Deregulierungen auf dem Arbeitsmarkt. Sie erleichterten beispielsweise die Einrichtung befristeter Jobs, die der Analyse von Neckel und Wagner zufolge „den Leistungsdruck auf die Mitarbeiter erhöhen und sie zwingen, ihren Wert für die Organisation immer wieder von Neuem beweisen zu müssen“.

Als zweiten, „subjektiven“ Faktor der Entgrenzung identifizieren die Soziologen den Wunsch vieler Menschen, „dass die Arbeit mehr sein möge als bloßer Lebensunterhalt“. Der Anspruch, sich im Beruf selbst zu verwirklichen, habe sich seit Freudenbergers Zeiten stark ausgebreitet und werde auch dort gepflegt, wo das früher nicht üblich war. Was aus Sicht des einzelnen Arbeitnehmers grundsätzlich nachvollziehbar und sinnvoll sei, könne jedoch „zum Köder“ werden. Nämlich dann, wenn Unternehmen mit praktisch grenzenlosem Einsatz kalkulieren – nach Ansicht der Forscher sind beispielsweise kräftige langfristige Zuwächse bei atypischen oder überlangen Arbeitszeiten ein Indiz dafür. Besonders problematisch sei es, wenn Beschäftigte keine echten Möglichkeiten hätten, ihre Arbeitsgestaltung mitzubestimmen. Neckel und Wagner resümieren typische psychologische Fallbeschreibungen zum Burnout: „Die Identifikation mit der Arbeit trieb die späteren Burnout-Patienten, je unzulänglicher die Arbeitsbedingungen waren, in immer größeres Engagement, was schließlich zum Erschöpfungszusammenbruch führte“.

Dass Burnout in den Medien prominent behandelt wird, halten die Soziologen für durchaus positiv. Das Syndrom sei zu einem griffigen Symbol geworden, über das „der Wandel der Arbeitswelt und die daraus entstehenden psychischen Kosten, welche die Arbeitssoziologie teilweise bereits seit Jahrzehnten beschrieben hatte“, nun verstärkt Thema in breiteren gesellschaftlichen Debatten würden. Statt aus Überforderung resultierende psychische Erkrankungen als individuelle Probleme abzutun, gerieten die Schattenseiten einer übersteigerten Wettbewerbsgesellschaft in den Blick, die die Arbeitskraft verschleiße. Nicht selten bereits in Vorauswahlen oder Antragsprozessen für Projekte, die am Ende nie umgesetzt werden. Die öffentliche Kritik könnte helfen, die Wirtschaft auf einen stärker nachhaltigen Entwicklungspfad zu bringen, hoffen Neckel und Wagner. In manchen Unternehmen seien schon Anzeichen dafür zu beobachten.



Weitere Informationen:
http://www.boeckler.de/14_52172.htm - Die PM mit Ansprechpartner
http://media.boeckler.de/Sites/A/Online-Archiv/14275 - Der Aufsatz in den WSI-Mitteilungen
http://www.boeckler.de/themen_32995.htm - Weitere Studien zum Thema Arbeitsbelastungen/Arbeitssschutz

Nota. - So ist es: Nicht 'die Gesellschaft' erwartet zuviel von den Sozialarbeitern, nicht die Sozailarbeiter erwarten zuviel von sich, sondern die Sozialarbeiter erwarten zuviel von ihrem Beruf.

Freudenbergers Diagnose datiert von 1974? Da war die Zunft noch neu und jung, da gab es ganz sicher eine Menge Leute, die von sich selbst "zu viel" erwarteten - in Amerika wie bei uns: Die dachten noch, es wäre ganz besonders an ihnen, die Welt zu verändern, und in Amerika sicher viel naiver als in Old Europe. Aber auch bei uns kamen sich die Sozialarbeiter, die eben erst diese Berufsbezeichnung und kaum noch ein Gra- duiertendiplom errungen hatte, wie Pioniere und Avantgardisten vor. Das waren Leute, die sich auf ein ganz neues Terrain vorgewagt hatten, die noch selbst erkunden mussten, in welchem Land sie überhaupt gelandet waren, und die sich zu Recht für Kreative und ein bisschen, nein sogar sehr auch für Künstler hielten - im vollen Bewusstsein, bei einer unglücklichen Wendung der Umstände auch scheitern zu können.*

Heute ist Sozialarbeit - "Sozialpädagogik" schon gar - ein Öffentlicher Dienst wie alle andern, nein, gar mehr als alle andern, und waren sie in den Pionierjahren allgemein bestaunt und bewundert und wegen ihres Idealismus' natürlich auch ein wenig belächelt, so ziehe ich es heute vor, meinen (früheren) Beruf zu verheimlichen, so sehr wird er inzwischen verachtet. Und sie geben mehr und schrillere Töne an als je zuvor. Bescheidenheit ist ihre Zier nicht, doch das erwartet auch schon keiner mehr von ihnen. Sie dümpeln in routiniertem Schlendrian und geben an wie ein Sack voll Flöhen. 

Es gibt ihrer viel zu viele. Professionell qualifizieren ließe sich ihr Beruf nur durch strenge personale Ökonomie - doch auch gesellschaftlich und sogar pekuniär aufwerten. Aber meinen Sie, dafür fänden Sie unter ihnen Sympathie und Bereitschaft zu einem neuen Aufbruch? "Das ist ja wohl das Letzte!"

Kein Wunder, dass in ihrem Berufsbild der Burnout ganz obenan steht, und fast möchte man es ihnen, wenn es nicht auf Kosten der Steuerzahler und der Klienten ginge, gönnen.

*) Haltet mal schön die Füße still, von mir rede ich ja nicht, damals gehörte ich noch gar nicht dazu. Ich rede von meinen Freunden und Bekannten.
JE