aus Gestört?
Für das Kind ist seine Familie ein geschlossenes System, von dessen Warte es die übrige Welt als ein inkohärentes Einerlei von Fremdem erblickt. Die Familie eröffnet ihm nicht nur seine ersten Einsichten in dieses abstrakte Chaos; sie gewährleistet ihm vor allem die Sicherheit seines eigenen Blickpunkts durch die Sicherung der sozialen Bezüge. Insofern steht sie in einem Gegensatz zur Welt, die ihm, als fremde, unsicher erscheint. Und dieser Unterschied macht die gewaltige sozialisierende und charakterbildende Bedeutung der Familie für den Heran- wachsenden aus. Die Sicherheit seines Standorts im familialen System erlaubt es ihm, die Welt nicht nur als bedrohlich, sondern auch als interessant zu erleben.
Diese sichernde Funktion der Familie ist aber nicht zu verwechseln mit den notwendig leidenschaftlichen Bezie- hungen, die das Kind mit seinen Eltern und Geschwistern unterhält: diese sind gewissermaßen „schicksalhaft“; jene ist es nicht. Denn auch historisch sind jabeide nicht identisch. Ihre spezifisch sozialisierende, weil psycho- ökonomisch sichernde Bedeutung ist der Familie erst in der Moderne zugewachsen; in demselben Maß, wie die bürgerliche Welt insgesamt unsicher geworden ist – als jenes offene Universum, wo ich meinen Ort immer erst suchen muß.
Aber faktisch bilden in der modernen Familie beide Dimensionen – die leidenschaftliche wie die sozialisierende – ein System kommunizierender Röhren. Wird die sichernde Rolle der Familie defizient, dann hören ja nicht etwa die Leidenschaften auf; aber sie verändern ihre Färbung. Und umgekehrt stellen „kranke“ bzw. kränkende Leidenschaften die sichernde Funktion in Frage. Es liegt auf der Hand, dass gerade diese Verquickung beider Dimensionen den Boden für pathologische Verwicklungen aller Art bereitet: indem auf jede Störung in dem einen Bereich der jeweils andere als deren Verstärker wirkt.
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