Das Konzept der feldorientierten Sozialarbeit ist nicht in den Räumen der Jungendämter entstanden, und in den Hochschulen schon gar nicht. Es ist vielmehr aus und in der praktischen Sozialarbeit selbst entstanden; im Lauf der nächsten Tage werde ich an dieser Stelle einige Zeugnisse davon veröffentlichen.
Es ist vor allen Dingen nicht entstanden, um den längst totgewussten Jugendämtern ein zweites Leben einzuhauchen, indem man ihnen den Geldhahn in die Hände drückt und sie nach Gutdünken entscheiden lässt, wer im sozialen Feld professionell tätig werden darf und wer nicht. Ganz im Gegenteil zielt die auf die Aktivierung sozialräumlicher Ressourcen orientierte Berufs- auffassung vom Helfenden Berater auf die radikale Entstaatlichung und Entbürokratisierung der Sozialarbeit. Dass das Konzept der "Sozialraumbudgets" so präsentiert wurde, als bezwecke es gerade die Umorientierung unseres Berufs weg vom hoheitlichen Fürsorger und hin zum zivilen Vermittler und Dienstleister, ist wenn kein Zynismus, dann ein Kinderglaube.
Im Folgenden dokumentiere ich meinen Teil eines Briefwechsels, den ich seinerzeit in dieser Sache hatte.
JE
den 25. 6. 06
...Einstweilen
verstehe ich es so: Für einen ‚Sozialraum’ wird für mehrere Rechnungsjahre ein
Gesamtbudget erstellt. Aus diesem erhalten einige (?!) Träger ihrerseits ein
Gesamtbudget zugewiesen, innerhalb dessen sie dann nach je intern ermitteltem
Bedarf und je nach Situation ihre Mittel zwischen ‚spezifischen’ und
‚unspezifischen’ Ausgaben verteilen können (wobei wohl je zu begründende
Nachschläge nicht ausgeschlossen sind)...
Ich
versuche mir die Sache praktisch vorzustellen. Als ich damals mit meinem Kinderhaus anfing, gab es für ein sozialräumlich konzipiertes ‚Angebot’ keine
Finanzierungsform. Ich habe mir schließlich eine Finanzierung per Tagessatz
aufschwatzen lassen, 'damit es überhaupt möglich wird' - „Sie müssen auch
Konzessionen machen, Herr Ebmeier“. Da sagte mir dann die Jugendamtsleiterin
in Friedrichshain: Wir wollen Fremdunterbringung vermeiden, und darum wollen
wir keine Fremdunterbringungseinrichtung in Friedrichshain. Folglich hat sie
Friedrichshainer Kinder in Zehlendorfer
Heime gesteckt, und ich bin pleite gegangen.
Käme
ich heute in einen sozialräumlich budgetierten Bezirk, hieße es: Schön und gut,
aber unser shop ist closed, sehn Sie zu, dass Sie bei einem bewährten Freien
Träger unterkommen – und ich müsste mich tief bücken, um mich [...] zu lassen. Nota: Den damals benötigten zweiten Kredit
hatte mir die Bank für Sozialwirtschaft schon bewilligt, und auch die
Geschäftsleitung der Bürgschaftsbank der BfS. Fehlte nur noch das Plazet des
‚Vergabeausschusses’ – und dort saß die Fünferbande der bewährten
Wohlfahrtskonzerne.
Für
eine Praxis, die nicht im Detail, sondern paradigmatisch anders ist, kann es keinen ‚bewährten’ Träger geben. – Na schön,
das ist ein Spezialproblem, wo man sich pragmatisch durchwurschteln könnte
(wenn ein guter Wille da wäre!). Aber
das Problem ist grundsätzlich. Nach welchen Maßstäben entscheiden die
Sozialarbeiter in den Ämtern, welche ihrer Kollegen auf der Straße sich ‚bewährt’
haben? Weils bisher auch schon so gut mit ihnen geklappt hat? Das ist ein administrativer Gesichtspunkt,
kein fachlicher (wie immer ein solcher definiert wäre). Das ist das kardinale
Problem: Wie gelangt die öffentliche
Verwaltung zu fachspezifischen
Kriterien? Sie wissen es wie ich: Sie gelangt gar nicht dazu, weil das nicht ihres Amtes ist.
Nehmen wir mal an, (Sozial-) Pädagogik wäre Wissenschaft. Der öffentliche Mandatsträger verfährt als solcher nicht wissenschaftlich, sondern politisch. Die Verantwortung dafür hat er auf keinen Andern abzuschieben. Welcher wissenschaftlichen Lehrmeinung er folgt, muss er selbst entscheiden und hat er vor seinen Mandanten zu rechtfertigen. Aber sie selber sich aus den Rippen zu schneiden, das kann keiner von ihm verlangen, und in keinem andern Lebensbereich mutet er sich das zu. Er muss sich auf einen gegebenen ‚Stand der Wissenschaft’ verlassen können.
Nun ist Pädagogik keine Wissenschaft, sondern die Alltagskunst einer Zunft. Die spricht zwar viel und laut, aber nicht mit einer Zunge - wenigstens das nicht! Eine gemeinsame Stellungnahme kann ihr im besten Fall immer nur punktuell gelingen, jusqu’à nouvel ordre - bis bessere Einsichten statthaben. Damit die besseren Einsichten wenigstens eine Chance haben, gehört zu werden, muss ihr eine permanente kritische Instanz gewissermaßen institutionell eingebaut werden; und das ist die Öffentlichkeit.
Wissenschaft ist öffentliches Wissen (das ist eine erschöpfende Definition): jederzeit jedermann zugänglich und jedermann verantwortlich, der sich vor ihr verantwortet. Dahin wird es (ihrem Wesen nach) die Pädagogik [Ach Sie wissen schon: das erwerbsmäßige Rummachen mit Kindern] nie bringen. Aus dieser Not lässt sich keine Tugend machen. Man kann sie allenfalls lindern, indem man die Zunft nötigt, ihrerseits öffentlich zu werden...
Ahnen
Sie´s? Ich komme wieder mit meinem alten Gedanken einer „Jugendhilfekammer“. Die Untiefen der Sozialraum-Budgets
resultieren daraus, dass die öffentliche Verwaltung nicht selber als Pädagoge
oder Sozialarbeiter sprechen kann. Solange dieser Gegensatz nicht direkt angegangen und (prozessierend,
versteht sich) ‚gelöst’ wird, wird sich der Streit um die Sozialraum-Budgets immer
als Vehikel anbieten, um alle erdenklichen Nebenabsichten zu befördern und den
pp. Umbau der Jugendhilfe dauerhaft zu lähmen. Dass Sie aber, wenn Sie dieses
Thema jetzt auch noch aufs Tapet brächten, alles bisher Erreichte nachträglich
gefährden könnten, ist mir klar. Nur - wenn nicht, könnte sich die
Auseinandersetzung mit den Juristen zu einem Pingpongspiel verewigen, bei dem sich
die Besitzstandwahrer in Ämtern und ‚Projekten’ ins Fäustchen lachen.
Sie
schreiben zwar, dass es Sozialraumorientierung auch ohne Sozialraumbudgets
geben könne. Aber Sozialraumorientierung als durchgängiger ‚Hintergrund’ für alle Jugendhilfe et al. kann es nicht
geben ohne eine grundsätzlich andere Finanzierungsweise als die Fallprämien. Dass
die Träger dafür Planungssicherheit brauchen, ist aber nur der abgeleitete
Gesichtspunkt. Der primäre Gesichtspunkt ist der, dass unspezifische Arbeit finanzierbar werden muss. Sind Sie ganz sicher,
dass das Problem beim Budget der Träger
anzusiedeln ist? Entsteht so ein Junktim: Was ich an Aufwand für die Fälle
einspare, kann ich für unspezifische Arbeit ausgeben -? Oder, wie Münder
befürchten mag: Um unspezifische Arbeit bezahlen zu können, muss ich bei den
Fällen sparen -? Ist es denn ganz unrealistisch, dass das, was als Anreiz
gemeint ist, zu einer Daumenschraube wird? (Nota: In meiner
Kinderhaus-Konzeption hatte ich Kinderhausbetrieb und ‚Feldarbeit’ getrennt
veranschlagt, aber zu fixen Kosten. Der „Vorhalt“ von Freien Plätzen musste
durch einen Aufschlag auf den ‚spezifischen’ Tagessatz erbracht werden.)
Foto: Luise, pixelio.de
Foto: Luise, pixelio.de
Ich
verstehe schon, dass man nicht die Fälle bei den einen und das Feld bei den
andern ansiedeln kann, weil sonst diese (wenn sie gut sind) jenen das Wasser
abgraben (selbst wenn die gut sind). Aber was ist gewonnen, wenn Sie die
Konkurrenz zwischen den Trägern in die Träger verlagern? Ich fürchte,
dass sachfremde Erwägungen unter diesen Umständen sogar mehr ins Gewicht
fallen als unter jenen. Ich verstehe
auch, dass man die vorhandenen Träger eher dafür gewinnen kann, in der neuen
Ausrichtung mitzuarbeiten, wenn man ihnen in Aussicht stellt, schlimmstenfalls
selber zu entscheiden, wer entlassen und wer versetzt wird, als wenn man ihnen
in Aussicht stellt, schlimmstenfalls pleite zu gehen. Aber das sind lauter
pragmatische Gesichtspunkte, und ob sie zwingend sind, ist nicht sicher. Dass
sich ein Rechtsgelehrter schwertut,
dafür Rechtsgrundsätze aufs Spiel zu setzen, ist mir nicht völlig
unverständlich.
Zum
Schluss noch dies: Für die Finanzierbarkeit meines Kinderhauses wäre ein
Sozialraumbudget, soweit ich sehe, ganz
ohne Folgen geblieben. Auch dann würden die Kosten erst ab dem Moment
erstattet, wo im Einzelfall die ‚Unterbringung’ stattgefunden hat. Das
Kinderhaus wäre auch ein „Angebot“, das „vorgehalten“ wird. Aber ein
unspezifisches. Darum erlaubt es, wenn’s soweit ist, eine maßgeschneiderte
Lösung für eine individuelle Situation. Das ist im Quer- und Längsschnitt
wohlfeiler als die Konkurrenz der vorgehaltenen spezifischen Angebote. Das Problem
ist nicht einfach, dass der eine Träger auf die ‚harten’, der Andere auf die
‚weichen’ Leistungen spezialisiert ist. Wenn ein Träger beide Leistungen
erbringt, verschiebt es nur die Konkurrenz zwischen den Finanzierungsformen von
außen nach innen. Wird sie dadurch rationeller? Kann ich mir nur schlecht
vorstellen.
Harald Schottner, pixelio.de
Harald Schottner, pixelio.de
Das
Problem ist, dass es für beide Leistungen verschiedene Finanzierungsformen
gibt und geben muss. Darin drückt sich aus, dass die Jugendhilfe dem
allgemeinen Gesichtspunkt des Gemeinwesens und dem individuellen Interesse des
Leistungsberechtigten gleichzeitig gerecht zu werden hat. Ich glaube, Sie
stellen sich eine Falle, wenn Sie ‚unspezifische’ Leistungen nur unter der Rubrik ‚sparsamer Vorlauf
zur HzE’ diskutieren wollen. Unspezifische Sozialarbeit ist eine Infrastrukturinvestition – und als solche hilft sie (hoffentlich), die Flut der HzE-Ansprüche
einzudämmen; so wie öffentliche Badeanstalten ein Beitrag zur Volksgesundheit
und eine Entlastung der Krankenkassen sind.
Badeanstalten werden aber nicht aus dem Gesundheitsetat finanziert. Sollten sie nicht besser? Stattdessen werden sie privatisiert. Wer spart da wo? Ein weites Feld, jaja. Ich verstehe schon, dass Sie den Griff in die HzE-Budgets als einen momentan praktikablen Weg verstehen, um überhaupt einmal eine Bresche zu schlagen in die Fallprämienlogik. Ich verstehe auch, dass man nicht alles auf einmal erreichen kann und den Weg nehmen muss, der sich bietet. Aber aus meiner Eselei, mein Kinderhaus über den Tagessatz finanzieren zu wollen, habe ich gelernt: Kompromisse, die zu Lasten der Sachlogik gehen, können einen Kopf und Kragen kosten. Anders gesagt, mit dem Kopf muss man durch die Wand – womit denn sonst?
CFalk, pixelio.de
Badeanstalten werden aber nicht aus dem Gesundheitsetat finanziert. Sollten sie nicht besser? Stattdessen werden sie privatisiert. Wer spart da wo? Ein weites Feld, jaja. Ich verstehe schon, dass Sie den Griff in die HzE-Budgets als einen momentan praktikablen Weg verstehen, um überhaupt einmal eine Bresche zu schlagen in die Fallprämienlogik. Ich verstehe auch, dass man nicht alles auf einmal erreichen kann und den Weg nehmen muss, der sich bietet. Aber aus meiner Eselei, mein Kinderhaus über den Tagessatz finanzieren zu wollen, habe ich gelernt: Kompromisse, die zu Lasten der Sachlogik gehen, können einen Kopf und Kragen kosten. Anders gesagt, mit dem Kopf muss man durch die Wand – womit denn sonst?
CFalk, pixelio.de
Ich
neige weiterhin der Ansicht zu, dass das Problem auf der höheren Ebene der
Gebietskörperschaften selbst (Jugendhilfekammer oder so was) und nicht erst auf
der untersten Ebene der Träger angegangen werden muss. Ja, das ist nicht nur
‚grundsätzlich’, sondern abstrakt. Was es konkret bedeuten würde, weiß ich
nicht. Ich will mit all dem auch nur eins gesagt haben: Die Sozialraumbudgets
sind wirklich problematisch, nicht nur bei bösem Willen.
...
Mit besten Grüßen,
Ihr J.E.
...
Mit besten Grüßen,
Ihr J.E.